Der Vermesser (German Edition)
Wasser hin und her, auf und ab. William zog die Füße durch den Schlamm und watete zügig weiter, bemüht, den Anschluss nicht zu verlieren. Er hatte hier unten stets die Einsamkeit gesucht, doch jetzt verzehrte er sich wie ein Kind nach dem warmen Körper seines Begleiters, nach dem tröstlichen Gestank der vom Abwasserschlamm steifen Kleidung, dem schalen Biergeruch aus seinem Mund und dem beruhigenden Schulterklopfen. Aber der Ausspüler war ihm weit voraus. William war schrecklich kalt. Die feuchte Kälte kroch ihm in die Knochen, und die halb verheilte Wunde an seinem Bein tat weh. Er hatte eine Gänsehaut.
Weit vorne blieb der Ausspüler stehen und wartete. Als sich die Lichtkegel ihrer beider Laternen schnitten und der Schein heller wurde, spürte William, wie seine Angst nachließ. Trotz der primitiven Arbeit, die er zu verrichten hatte und trotz seiner schmutzverklebten Wangen hatte der Mann ein gütiges Gesicht. Gemeinsam würden sie die Leiche finden. Und gemeinsam würden sie wieder nach oben steigen. William brauchte keine Angst zu haben.
»Hier lang?« Der Ausspüler machte eine Kopfbewegung nach rechts. William nickte und blieb dankbar stehen, um Atem zu schöpfen, aber der Mann war bereits weitergegangen. Der Lichtschein seiner Laterne streifte über die Wände und glitzerte auf der aufgewühlten Wasseroberfläche. Zwischen ihm und William breitete sich die Dunkelheit aus wie ein Vorhang. Nach Luft ringend, kämpfte sich William weiter voran. Seine Laterne warf nur ein schwaches Licht und qualmte eigentümlich. Irgendetwas stimmte damit nicht. Erschrocken schüttelte er sie, und die Flamme zitterte. Eine Welle der Panik jagte durch seinen Körper, dass er glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er biss die Zähne zusammen, und seine feuchte Hand hielt die Laterne so fest umklammert, dass die Knöchel wie gelbe Zähne hervortraten. Er durfte nicht nach unten sehen. Die Leiche. Er musste die Leiche finden. Wenn er die Leiche fand, war er nicht verrückt. Wenn er die Leiche fand, konnte er wieder nach oben.
»Warten Sie bitte, so warten Sie doch!«, rief er mit heiserer Stimme dem Ausspüler nach, aber seine Worte wurden von der rauschenden Strömung geschluckt. Sein Kopf hüpfte auf und nieder wie die Schatten rings um ihn, und ein Schwindel erfasste ihn, dass er glaubte sich erbrechen zu müssen. Ihm war so kalt. Er spürte weder Füße noch Hände. Er musste die Leiche finden. Er musste hier raus. Jetzt begann die ihm früher so vertraute Dunkelheit in die kalten, leeren Gewölbe zu sickern, und eine trostlose Schwärze kroch ihm die Beine hinauf wie Rauch, der durch den Schornstein zieht. Der altbekannte Drang, der ihn plötzlich überfiel, zog ihm die Haut zusammen, ließ ihm den Mund austrocknen und das Zahnfleisch zurückweichen. Seine Haut juckte. Schreie der Begierde stiegen in ihm auf, schneller und heftiger als je zuvor. Brachen wie eine wilde Horde aus den dunkelsten Winkeln seiner Seele. Fegten unaufhaltsam durch seine Adern. Entzündeten seine Knochen. Drangen in seinen Schädel, als wollten sie ihn zerschmettern wie ein rohes Ei. Gegen diesen erbarmungslosen Ansturm war er machtlos. Er hörte, schmeckte, fühlte und sah nichts anderes mehr. Er musste sie herauslassen, bevor sie ihn zerstörten. Doch diesmal war es nicht das Messer, nach dem er sich verzehrte. Nicht das Messer würde ihm Erlösung bringen, sondern die Leiche.
Der Ausspüler blieb erneut stehen, um auf William zu warten. Vor ihm lag ein schmaler Tunnel, kaum einen Meter hoch. Seine Laterne schaukelte, als er sich zu William umdrehte, und ihr Licht streifte etwas, das unweit der Öffnung im Tunnelinnern steckte. Etwas Blasses, Weißliches. Und dann war es wieder verschwunden, von der Dunkelheit geschluckt. Doch das klare Bild eines aufgedunsenen Körpers verschwand nicht, sondern grub sich mit langen, tiefen Schnitten in Williams Schädel ein. Die Leiche. Es war die Leiche.
William drängte sich mit solchem Ungestüm an dem Ausspüler vorbei, dass dieser das Gleichgewicht verlor. William riss sich die Laterne von der Schürze und hielt sie in die Höhe. Dann sank er mit einem erstickten Triumphschrei auf die Knie, dass das faulige Wasser ihm an die Brust schwappte, und bahnte sich den Weg in den Tunnel. Das von den Wänden zurückgeworfene Licht erzeugte ein weißes Leuchten. Pilze. Die Wände waren übersät mit Pilzen, die aus dem bröckelnden Mauerwerk herauswucherten. Ihr kalter Zersetzungsgeruch stieg
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