Der Vermesser (German Edition)
man ausgedehnte graue Felder und unbelaubte winterliche Dornenhecken, deren schwarzes Gitterwerk Schattenmuster auf die Fenster warf. Die Straße hier war holpriger, und so wurde William, der sich nicht festhalten konnte, auf der Bank unsanft hin und her geworfen. Jedes Mal, wenn er zur Seite kippte, zogen ihn die Gehilfen an den Riemen der Zwangsjacke mit solcher Grobheit wieder hoch, dass sein Kopf herumgerissen wurde und ihm die metallenen Schnallen schmerzhaft in die Handgelenke schnitten. Einige Zeit später, als es in der Kutsche schon fast völlig dunkel war, nahm das Rucken ab. Ketten, die irgendwo in der Kutsche verstaut waren, stießen klirrend aneinander. Der Kutscher rief den Pferden energisch etwas zu, und während sich das Gefährt noch hin und her wiegte, klopfte auch schon jemand ans Fenster. Einer der Gehilfen öffnete es einen Spaltbreit und reichte ein Bündel Schriftstücke hinaus, das ein Pförtner in dunkler Uniform in Empfang nahm. Er musterte William mit unverhohlener Geringschätzung und tätschelte finster dreinblickend den großen eisernen Schlüsselring an seinem Gürtel. Dann machte die Kutsche noch einen Satz und kam schließlich zum Stehen. William wurde hochgezerrt und hinaus in die Nacht gestoßen.
Es folgte ein wirres Durcheinander, ein Schreien und Hasten, und plötzlich flammte ein grelles Gaslicht auf, das William blendete und zusammenzucken ließ. Er wurde in einen kahlen Raum gebracht mit Steinfliesen wie in einer Spülküche – daran erinnerte er sich später –, wo er baden durfte. Jemand rieb ihm energisch ein Mittel ins Haar, das ihm wie Feuer auf der Kopfhaut brannte. Die Gehilfen aus der Kutsche waren verschwunden, aber es gab dort andere Männer, Männer mit den gleichen steinernen Mienen und den gleichen einsatzbereiten Muskeln. Er erhielt eine weitere Dosis Chloral, die er willig schluckte, und eine Schale brauner Suppe, die er nicht aß. Dr. Feather war da, oder vielleicht war es auch jemand anderer, der nur so aussah wie der Doktor, und ein weiterer Arzt mit dunkler Haut und dicken Augenbrauen, der nicht aussah wie Feather. Es wurde gesprochen, jemand schrieb etwas auf. Kaltes Metall wurde ihm auf die Haut gedrückt und ein weißes Licht vor die Augen gehalten. Er wurde in ungewohnte Kleider gesteckt, lose Baumwollgewänder, wie indische Straßenhändler sie trugen, die auf der Vorderseite mit kurzen Stoffbändern geschlossen wurden. Und dann fand er sich plötzlich auf einer schmalen Liegestatt, fast ein gewöhnliches Bett, nur dass die Decken an der Matratze angenäht waren und ihm die Handgelenke mit Baumwollgurten seitlich festgebunden wurden. Es gab noch weitere Betten in dem Raum, weitere Geräusche, schlurfende Schritte, knallende Schläge und ein leises Weinen, unterbrochen von schrillen Schreien jenseits der verriegelten Tür. Williams Arme zuckten, und die Bänder schnitten ihm in die Handgelenke. Ihre Unnachgiebigkeit beruhigte ihn. Wenn sie ihn fesselten, so fesselten sie auch die Verrücktheit in ihm, hielten sie in Schach. In ihrer Umarmung war er sicher, er musste nicht mehr auf der Hut sein. Und so fand er zum ersten Mal seit Tagen wieder Schlaf, glitt durch die Geräusche und die Schreie, durch den dunklen ungewohnten Raum, durch die Tunnel, die gefrorenen Schützengräben entlang und an den beschatteten Gesichtern vorbei, die höhnisch grinsten, weinten und feixten, bis die Geräusche lauter wurden und deutlicher und die graue Morgendämmerung sich müde durch das vergitterte Fenster zwängte, um William mit seinem neuen Zuhause bekannt zu machen.
Die Anstalt von Hounslow betrachtete sich als eine fortschrittliche Einrichtung. Verglichen mit staatlichen Irrenhäusern war es ein eher kleines Haus. Hier waren keine hundert Patienten untergebracht, von denen sich jeweils acht einen Schlafsaal teilten, und auch wenn es den Zimmern an ausreichender Beheizung und allgemeinem Komfort mangelte – verputzte Wände galten als unnötiger Luxus für einen Geisteskranken –, wurden sie doch annehmbar sauber gehalten. Fesseln aus Eisen waren verboten, und hatte ein Patient einmal ein zufrieden stellendes Maß an Fügsamkeit bewiesen, wurden sogar die Riemen für die Handgelenke nur mehr selten eingesetzt und auch dann nur als Strafe für unbotmäßiges Verhalten. Schwierige Patienten steckte man zuweilen gewaltsam in Kleidung aus festem Segeltuch, das schwer war wie Blei und sie in ihrer Bewegungsfreiheit hemmte. Der Einsatz von eiskalten
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