Der Vermesser (German Edition)
Mauer.«
»Tatsächlich? Und was?«
»Ich weiß nicht. Aber ich weiß, dass er es getan hat. Ich … ich habe auch immer Dinge versteckt. Die Backsteine waren morsch. Man konnte sie leicht herausziehen. Dort unten konnte man etwas verstecken und sicher sein, dass niemand es je finden würde.«
»Dann meinen Sie also …«
»Er hat dort unten etwas versteckt. Etwas Wichtiges vielleicht. Etwas, das niemand entdecken sollte.«
»Die Waffe?«
»Vielleicht.«
»Dokumente?«
»Ich weiß nicht.«
»Aber irgendetwas?«
»Ja, irgendetwas.«
»Und Sie sind sicher?«
»Ganz sicher.«
Rose hatte das Gesicht so fest an die Eisentür gepresst, dass ihm die Nase wehtat.
»Und Sie können mir sagen, wo?«
William nickte. »Die Vorarbeiter, sie kennen die Tunnel …«
»Und die würden mich hinführen?«
»Vielleicht. Wenn Sie dafür bezahlen.«
»Bezahlen. Ja.«
Es war nur ein Hoffnungsschimmer. Aber der Prozess war für folgenden Montag angesetzt, und er hatte nur noch ein paar Tage Zeit. Und mit dem Wenigen, was er hatte, konnte er Hawke nicht entgegentreten. Aber wenn da unten tatsächlich etwas war, würde das alles ändern. Es reichte vielleicht nicht aus, Hawke des Mordes zu beschuldigen, aber darauf kam es gar nicht an. Es ging darum, die Beweismittel der Anklage so sehr in Zweifel zu ziehen, dass die Geschworenen gezwungen waren, May freizusprechen. Dann wäre er, Rose, derjenige, der den Geisteskranken freibekommen hatte. Dann würde man ihn ernst nehmen, selbst sein Vater und dessen Jagdgenossen, die von Tätigkeiten in der Stadt wenig hielten, außer dass sie vielleicht eine probate Einnahmequelle abgaben, in Zeiten, da es finanziell ein wenig eng wurde. Wenn Rose einen Freispruch erwirkte, würden sie Notiz von ihm nehmen. Sie würden mit ihren roten Fingern auf seinen Namen in ihren Journalen deuten. Dann hätte er es geschafft. Da geht er, würden sie sagen, wenn er auf dem Weg zum Old Bailey in einem neuen Anzug durch den Temple-Bezirk schritt. Da geht der berühmte Anwalt, der einen aussichtslosen Fall erfolgreich verteidigt hat. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben, würden sie sagen. Wenn eins sicher ist, dann dies: Sydney Rose, Anwalt der Krone, ist der geborene Jurist.
William hustete, ein Krampf, der ihn schüttelte und die Ketten an seinen Füßen scheppern ließ. Das Geräusch riss Rose aus seinen Träumereien. Stolz ist eine Sünde, wies er sich scharf zurecht und errötete im Bewusstsein seiner Lächerlichkeit. Er hörte aufmerksam zu, was May ihm sagte, und machte sich ausführliche Notizen. Aber immer noch erfüllte ihn prickelnde Erwartung und jagte ihm einen freudigen Schauder über den Rücken. Hab keine Angst davor, sagte er sich, diesmal gnädiger sich selbst gegenüber. Wenn du aufgibst, lieferst du wissentlich einen Mann an den Galgen – einen Mann mit Frau und zwei Kindern, der womöglich unschuldig ist. Hab keine Angst vor der Hoffnung.
XXVIII
D ie Antwort sei nein, sagte der Vorarbeiter und zuckte mit den massigen Schultern. Er könne seinen Arbeitsplatz nicht aufs Spiel setzen, so wahr er hier stehe. Seit sich herumgesprochen habe, dass man die Leiche des Ziegeleibesitzers aus den Tunneln herausgezogen habe, gebe es jede Menge Leute, die sich dort unten umsehen wollten, vorwiegend Zeitungsfritzen natürlich, denen die Nase juckte wie Spürhunden. Und dann noch diese Schnüffler, die stets zur Stelle seien, wenn etwas ganz besonders Schauerliches geschehen war. Rose sei nicht der Erste, der um eine Führung bitte, bei weitem nicht. Man habe mit allen Tricks versucht, ihn und seinen Trupp herumzukriegen, und ihnen Geld angeboten, ziemlich viel sogar. Aber sie ließen sich auf nichts ein. Sie stünden jetzt im Dienst des Amts für öffentliche Bauvorhaben und seien niemand Geringerem als dem Parlament Rechenschaft schuldig, und die Vorschriften des Bauamts seien klar und deutlich: Ohne ausdrückliches Einverständnis der Behörde dürfe niemand in den Untergrund. Wenn Rose von Mr. Grant oder Mr. Lovick eine schriftliche Erlaubnis hätte, läge die Sache natürlich anders. Dann würde der Vorarbeiter ihn gern durch das Kanalnetz in seiner ganzen Länge und Breite führen. Aber ansonsten bedaure er sehr. Vorschrift sei Vorschrift.
»Aber verstehen Sie denn nicht, ich muss heute, allerspätestens morgen runter«, beharrte Rose und wühlte unbeholfen in seinen Taschen nach Münzen. »Ein Menschenleben hängt davon ab.«
Der Vorarbeiter runzelte die Stirn. Wieso und
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