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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Schreie und Flüche – Geräusche, die durch den Nebel zu ihm drangen. Blindwütig hatte William dem Mann sein Bajonett immer und immer wieder in die Brust gestoßen. Blut rann zwischen seinen Fingern. Als er jetzt daran dachte, drehte sich ihm der Magen um, und er grub die Fingernägel tief in die Handteller, um die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen. Er konnte England nicht getötet haben, beschwor er sich immer und immer wieder. Er würde sich daran erinnern.
    An dem Tag, als der Anwalt kam, lagen seine Gedanken zum ersten Mal klar und deutlich vor ihm, ohne dass sie ihm zwischen den Fingern zerrannen. Zart wie sie waren, behielten sie dennoch ihre Form und trugen die zaghaften Konturen von einer Art Gewissheit. In der Irrenanstalt hatte das Chloral seine Sinne gedämpft, seine Gedanken und seinen Appetit unterdrückt. Jetzt krampfte sich ihm vor Hunger der Magen zusammen, doch dadurch erwachte sein betäubtes Gehirn und ließ Licht herein. Und damit auch die Angst. Zum ersten Mal, seit man ihn auf das Schiff gebracht hatte, wusste er, dass er nicht sterben wollte. Er sehnte sich danach, sich frei und ungehindert zu bewegen, saubere Luft zu atmen und sich den verkrusteten Dreck vom Gesicht zu waschen. Er dachte an Polly und seinen kleinen Sohn, und in seiner Sehnsucht verdrehte er die Ketten an Händen und Füßen, so dass ihm die Fesseln mit ihren harten Kanten an den Schienbeinen und Handgelenken in die Haut schnitten. Das Metall war zwar zu stumpf, um blutige Wunden hervorzurufen, aber der Schmerz, den es verursachte, beruhigte ihn.
    Er hatte Rose gebeten, am nächsten Tag wiederzukommen. Den ganzen Vormittag wartete er, breitete seine Erinnerungen vor sich aus und besah sie sich ganz genau – so wie in den Tagen nach dem Mord, als er alles in sein Notizheft geschrieben hatte. Diesmal hatte er kein Papier und keine Tinte, aber als er sein Gedächtnis durchstöberte, mit aufmerksam geneigtem Kopf, legte er für jeden Geräuschfetzen, den er erinnerte, einen Strohhalm neben sich auf den Boden. Als die Bilder aus dem Krimkrieg übermächtig zu werden drohten und er das dumpfe Geräusch eines ins Fleisch eindringenden Messers zu hören meinte, wischte er sie beiseite. Er musste sich einzig und allein auf jenen Abend konzentrieren. Irgendetwas musste er vergessen haben. Etwas, das in diesen Geräuschhülsen, dem Scharren und Platschen, dem Glucksen und Stöhnen verborgen lag. Etwas, an das er anknüpfen konnte.
    Ein paar Stunden nachdem die Hand des Wärters seinen Blechnapf herausgezogen hatte, hörte William Schritte draußen im Flur. Sie waren leichter als die der Gefängniswärter und eiliger. William spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Einen Augenblick später ging die eiserne Klappe auf. Es war Rose. Diesmal verschwendete der Anwalt keine Zeit mit Höflichkeiten.
    »Ich glaube, wir haben da etwas«, stieß er hervor. »Es reicht zwar noch nicht aus, aber es ist besser als gar nichts. Es könnte Ihren Hawke belasten.«
    William schrie unwillkürlich auf. Er starrte dem Mann hinter der Klappe in die Augen und meinte für einen kurzen Moment, das Herz würde ihm zerspringen und seinen Brustkorb mit warmem, klebrigem Blut überfluten. Ihm war so schwindelig, dass er glaubte, das Bewusstsein zu verlieren.
    »Ich …«, stammelte er.
    »Der Vertrag, von dem Sie gesprochen haben – ich hab ihn gefunden.«
    Es hatte bis vier Uhr in der Nacht gedauert. In den kalten, stillen Stunden nach Mitternacht hatte sich Rose systematisch durch die Schriftstücke in der Kiste gearbeitet, die er vom Polizeirevier mit nach Hause genommen hatte. Ein Großteil der Dokumente bestand aus den üblichen Geschäftspapieren einer Ziegelei, und Rose wurde ganz wirr im Kopf vor lauter Zahlenreihen: Tunneldurchbruch  6 s. 6 d. pro Kubikmeter; Portlandzement  13 s. pro Kubikmeter; Backsteine £ 14 pro Rute; Mauerziegel  35 s. pro tausend Stück; Tagelöhner  3 s. 6 d. Wenn irgendwo in dieser Berechnung ein Geheimnis lag, so blieb es Rose verborgen. Erst ganz unten in der Kiste war er auf die Verträge gestoßen. Es war ein dicker Stapel, mit einer Schnur zusammengebunden, der in einem lederbraunen Umschlag steckte. Die meisten Verträge lauteten auf unbedeutende Beträge, betrafen Vereinbarungen mit Bauspekulanten und den einen oder anderen kleinen Auftrag von einer Kirchengemeinde. Die meisten waren mehr als ein Jahr alt. Nur einer datierte vom Dezember 1859  – der Vertrag über eine Backsteinlieferung an die

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