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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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glänzenden, wenn auch schmutzverkrusteten Lederschuhe musterte. Er hoffe, Tom stecke nicht in der Klemme, hatte er gesagt und Rose dabei neugierig angesehen. Als Rose ihm seine Karte überreichte, fuhr er sich mit der Zunge über den breiten Mund, als wollte er sich die Reste der Bratensoße vom Mittagessen ablecken. Ein Anwalt sei er also. Sehr interessant. Er, der Wirt, sei noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Und er gebe gewiss kein Geheimnis preis, wenn er ihm sage, dass Tom im East Court zu finden sei, linker Hand, wenn man vor dem Eingang stand, im zweiten Stock.
    Der Eingang zum Hof war nur ein Spalt zwischen zwei Häusern, die sich bedrohlich aneinander lehnten, mit Mauern schwarz von Ruß und Verfall. Nicht breiter als ein Wäscheschrank, und wenn Rose die Arme ausbreitete, konnte er die beiden Türen rechts und links gleichzeitig berühren. Der Eingang ähnelte mehr einem schmalen Felsspalt als dem Zugang zu menschlichen Behausungen. Der Gestank nach Kanalisation und Körperausdünstungen raubte ihm den Atem. Rose hatte den unbändigen Wunsch wegzulaufen, von hier zu verschwinden, so schnell er konnte, aber etwas hielt ihn fest. Es war nicht so sehr der Entschluss zu erledigen, was er sich vorgenommen hatte, als vielmehr die Befürchtung, dass sich, wenn er losrannte, das Netz aus Gassen und Sträßchen um ihn zusammenzöge und er, sosehr er sich auch anstrengte, nie mehr herausfände. Er ballte die Faust und schlug mit aller Kraft an die Tür. Dann rief er, zaghaft in der dunklen Stille des Hofs, Toms Namen.
    Durch das zerbrochene Fenster konnte Tom die Hutkrempe des Mannes sehen. Leise fluchend wartete er ab. Der Mann rief erneut seinen Namen. Es war eine helle, beinahe mädchenhafte Stimme, scheppernd wie ein Löffel in einem Blechnapf. Sie klang nicht wie die eines Polizisten, so viel stand fest. Tom spähte durch das Fenster. Plötzlich schob der Mann seinen Hut in den Nacken und blickte nach oben, und schnell duckte sich Tom ins Dunkel. Er war größer als Tom, unverkennbar, aber trotz seiner feinen Klamotten sah er aus wie ein Hungerleider. Wenn er dem Scheißer auf den Hut spuckte, bräche der unter der Wucht zusammen, garantiert.
    »Bitte«, flehte der Mann und hämmerte erneut an die Tür. »Bitte, wenn Sie da sind, kommen Sie runter. Mr. Harker, der Vorarbeiter, schickt mich. Er meint, Sie könnten mir helfen.«
    Tom stutzte. Harker war ein anständiger Kerl gewesen, bevor er sich vom Staat hatte ködern und sich den Kopf mit Regeln und Vorschriften zukleistern lassen. Tom kannte ihn schon seit gut zwanzig Jahren. Obwohl Harker jetzt im Dienst des Amts für öffentliche Bauvorhaben stand, hatte er es nie darauf angelegt, Tom in Schwierigkeiten zu bringen.
    »Ich bezahle Sie auch dafür. Tom? Hören Sie mich? Nennen Sie Ihren Preis. Sie sind meine letzte Hoffnung. Tom?«
    Die Stimme klang jetzt verzweifelt, beinahe jämmerlich. Tom spähte hinunter in den Hof. Der Mann hob die Faust, um ein letztes Mal an die Tür zu schlagen, aber bevor seine Hand das Holz berührte, ließ er sie sinken. Er sah noch einmal zum Fenster hoch, machte kehrt und quetschte sich mit eingezogenen Schultern durch den Mauerspalt. Im aufgeweichten Boden waren seine Fußspuren das Einzige, was von ihm blieb.
    Tom schlüpfte auf der Rückseite des Hauses hinaus und stellte sich dem Gentleman am Ende der Gasse in den Weg. Bei Toms Anblick zuckte der Mann zusammen und hielt sich die Hand vor den Mund. Seine Hände waren rot, seine Lippen jedoch aschfahl, und die Augen traten ihm fast aus dem Kopf. Er sah Tom an, als würde er vor Angst gleich zu weinen anfangen.
    »Sie suchen den Langarmigen Tom, stimmt’s?«, fragte Tom.
    Der Mann schluckte, die Miene vor Furcht erstarrt.
    »Is ’n Freund von mir«, sagte Tom leichthin. »Und da dachte ich, ich könnt ihm vielleicht was ausrichten.«
    »Ein Freund?«, brachte Rose stotternd heraus.
    Tom nickte. Rose schluckte erneut und versuchte zu lächeln. Seine roten Hände zitterten. »Ein Freund. Das … das ist ja … wunderbar. Könnten … könnten Sie mich zu ihm bringen?«
    Tom zuckte die Achseln. »Schon möglich. Kommt drauf an, was Sie von ihm wollen. Hat Ärger, nicht?«
    »Du meine Güte, nein, absolut nicht.« Rose schüttelte heftig den Kopf. »Überhaupt nicht. Ich möchte ihn nur … ich brauche seine Hilfe. Natürlich würde ich ihn dafür bezahlen.«
    »Was für eine Hilfe?«
    »Ich fürchte, das muss zwischen Ihrem Freund und mir bleiben.«
    »Aber Sie

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