Der Vermesser (German Edition)
Treppe ab. Zum Transport der Tiere benutzten sie die weniger auffälligen, kleineren Käfige. Der penetrante Hundegeruch in dem engen Vorraum vermischte sich mit den schwächeren Dünsten von Staub, trockener Fäulnis, Tabak und schalem Bier. Hinter dem Drahtgitter schoben und drängelten sich aufgeregt die Ratten, krabbelten nervös übereinander, quiekten und scharrten, um etwas von den Düften zu erschnuppern. Gegenüber der Treppe lag der Eingang zur Gaststube. Durch die geschlossene Tür, die zerkratzt und unten völlig abgeschabt war, drang leises Gemurmel, das sich anhörte wie das Rattern von Wagenrädern auf Pflastersteinen. Tom machte dreimal ein kurzes Klopfzeichen, während sich Joe auf die unterste Treppenstufe hockte. Er schob die Mütze tief in die Stirn und ließ sich dann auf die Ellbogen zurücksinken. Der Treppenpfosten war voller Bissspuren. An die Wand gelehnt, ließ Tom die Tür nicht aus den Augen. Prompt ging sie einen Spaltbreit auf und wieder zu. Tom erhaschte den vertrauten Blick auf eine zerknautschte Mütze. Joe gähnte und streckte die Beine aus. Sein Backenbart schimmerte im dämmrigen Licht kupferrot.
Es dauerte weitere zehn Minuten, ehe der Wirt aus der Schankstube kam und sie begrüßte. Frank Brassey war ein Kerl mit einem Brustkorb wie ein Ringer und platt gedrückter Nase. Sein Kopf schien direkt aus den Schultern hervorzuwachsen, ohne sich um etwas so Überflüssiges wie einen Hals zu scheren, doch er hatte schlanke Beine, und im seltsamen Kontrast zu seiner Statur bewegte er sich tänzelnd auf den Ballen seiner kleinen spitzen Füße wie Monsieur Blondin bei einem Hochseilakt. Brassey war mächtig stolz auf seine Füße. Sein schwarzer Rock hatte zwar längst eine grünliche Patina angenommen und glänzte an den Ellbogen speckig, aber er trug elegante Schuhe, handgearbeitet aus feinstem italienischem Leder. Eine Holzplanke, die an der Wand im Flur lehnte, diente ihm als Steg durch den Matsch, damit er sich die Schuhe nicht schmutzig machte, falls er einmal nach draußen musste. Er warf Joe einen finsteren Blick zu.
»Ich hoffe, ihr habt genügend von diesen Viechern!«, sagte er unwirsch und stieß den untersten Käfig mit der Schuhspitze an. Sein breiter Mund wies auffallend wenig Zähne auf.
»Genau hundertfuffzig«, versicherte Tom ihm gelassen.
»Paar richtig große Brocken sind auch dabei«, ergänzte Joe von seinem Ruheplatz auf der Treppe. »Die Köter werden ’ne Menge zu tun haben.«
»Will ich euch auch geraten haben«, erwiderte drohend der Wirt. »Die Leute erwarten heute Abend ganz was Besonderes.«
Joe machte eine Kopfbewegung zu dem großen Anschlag an der Wand. Seine Augen funkelten boshaft.
»Sie glauben wirklich, die Leute werden nicht enttäuscht, Chef?«, fragte er gedehnt. »Wie’s heißt, hat sich Ihr so genannter Gentleman längst aus dem Staub gemacht und seine wertvolle Uhr beim Pfandleiher versetzt.«
Das Pfandstück, von dem Joe sprach, war eine goldene Repetieruhr, deren Zeichnung das Plakat zierte, denn viele der leidenschaftlichen Wetter hatten weder lesen noch schreiben gelernt. Wer die Mitteilung entziffern konnte, die abwechselnd in einer steilen Handschrift und mit fetten Großbuchstaben geschrieben war, entnahm ihr, dass die Uhr als Siegprämie winkte für denjenigen Hund mit einem Gewicht unter acht Pfund, der als erster in einer einzigen Minute mehr als fünfzehn Ratten totbiss. Der großzügige Spender der Uhr nannte sich einen wettbegeisterten Gentleman und entschiedenen Kämpfer für die Vernichtung der schädlichen Brut. Die Hunde sollten um halb zehn gewogen werden, damit der Kampf pünktlich um halb elf beginnen konnte. Für Tom war die Schrift nur ein Wirrwarr aus Strichen und Linien.
»Aber keine Sorge, Mr. Brassey«, fuhr Joe fort. »Es heißt, drüben im King’s Head ist es immer brechend voll. Am besten, wir bringen die Viecher gleich rüber, was meinst du, Tom?«
Joe zog sich träge an dem rissigen Treppenpfosten hoch und legte eine Hand auf den obersten Käfig. Kreischend drückten die Ratten ihre Schnauzen ans Gitter und entblößten ihre gelben Zähne. Tom wandte den Blick ab.
Mr. Brassey funkelte Joe böse an und wippte auf den Zehenspitzen.
»Die Uhr ist nicht verpfändet«, fauchte er ärgerlich. »Und selbst wenn, wär’s egal. Die Uhr ist nur so was wie ’ne Kostprobe. Für die drüben im King’s Head, ja, für die wär sie vielleicht was Besonderes, aber das Publikum, das in
mein
Lokal kommt, gibt sich
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