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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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nicht mit solchen Kleinigkeiten ab.«
    »Tatsächlich? Dann sind also hier nur feine Leute?«
    »Nur erstklassige Gäste«, gab Mr. Brassey mit stolzgeschwellter Brust zurück.
    »Richtige feine Herren, was?«
    Tom hob die Hand. Er wusste aus Erfahrung, dass Joe den Wirt in eine Richtung drängen wollte, die dessen Eitelkeit gewiss nicht schmeichelte. Und Tom hatte keine Lust, einen Kunden zu verlieren.
    »Sobald wir unser Geld haben, verschwinden wir«, sagte er, mundfaul wie gewöhnlich.
    Mit einem wütenden Blick auf Joe wühlte Brassey in seiner Hosentasche.
    »Hier«, sagte er und zählte mit großer Geste Münzen in Toms ausgestreckte Hand. »Einen Penny pro Paar.«
    Tom nahm das Geld, steckte es in eine Innentasche seiner Segeltuchjacke und streckte ihm erneut die Hand hin.
    »Einen Penny pro Tier. Wie abgemacht.«
    »Für diese räudigen Viecher?« Brassey stieß Toms Hand zurück. »Ein halber Penny ist mehr als genug.«
    Tom zuckte die Achseln. Er nickte Joe zu, der sich den ersten Käfig auf die Schulter hievte.
    »Im King’s Head kriegt ihr auch nicht mehr, das garantiere ich euch«, polterte der Wirt.
    Joe schulterte den zweiten Käfig. Brassey verzog keine Miene, aber seine Füße in den feinen Schuhen wippten nervös. Mit einer Kopfbewegung zu den beiden noch verbliebenen Käfigen ging Tom auf die Tür zu. Brassey klimperte mit den restlichen Münzen in seiner Tasche, als wären es glühende Kohlen.
    »Schon gut, schon gut.« Der Wirt gab sich einen Ruck. »Ein Penny pro Stück, auch wenn das Halsabschneiderei ist. Ihr müsst allerdings später noch mal kommen, im Moment hab ich nicht so viel.«
    Tom blieb im Flur stehen, die Augen zusammengekniffen.
    »Heute Abend hab ich’s«, versprach Brassey. »Kommt nach neun noch mal. Und wenn ihr schlau genug seid und euch ’ne goldene Nase verdienen wollt, nehmt ihr das Geld zum Wetten.«
    Tom dachte einen Augenblick nach, dann nickte er. »Also bis heute Abend.«
    »Los, mach schon. Stell sie ab«, drängte Brassey.
    Joe grinste, machte aber keine Anstalten, die Käfige abzusetzen. Auf seinen Schultern ruckten sie ein wenig hin und her, weil die Ratten, sich gegenseitig drängelnd, nach Gleichgewicht suchten.
    »Heute Abend. Erst das Geld, dann die Ware«, sagte Tom seelenruhig und stieß die Tür auf.
    Brassey zögerte. Von oben hörte man ein scharrendes Geräusch. Sein Gehilfe schleifte im ehemaligen Salon Stühle über den Fußboden. Der Wirt verfügte zwar über ausreichend Tische und Bänke für seine Gäste, aber am Morgen hatte er seinen Gehilfen angewiesen, um eine Nische in der Wand eine niedrige Holzbalustrade aufzubauen. Brassey wollte nämlich dem Captain und seinen Begleitern alle Annehmlichkeiten einer Privatloge bieten. Der Captain war ein Gentleman von beträchtlicher Kultiviertheit. Bei seinem letzten Besuch hatte er hundert Guineen für einen Hund ausgelobt, der es schaffte, in einer Minute zwanzig Ratten zu töten. Man konnte allerdings nicht sagen, ob er sich im trüben, kalten Morgenlicht des folgenden Tages noch an dieses großzügige Angebot erinnerte. Brassey leckte sich die Lippen. Über seinen gewölbten Bauch hinweg sah er gerade noch die Spitzen seiner blank polierten Schuhe. Draußen in der Gasse war es matschiger als sonst. Er reckte sich, quetschte sich mit dem Oberkörper durch die Tür und rief die Männer zurück.
     
    Ohne die schweren Käfige gelangten Tom und Joe zügig durch Soho und in ihre Wohngegend zurück. Die neu gewonnene Last in ihren Taschen war jedoch nach ein paar fröhlich durchzechten Stunden in einer Schenke hinter der Strand schon ein wenig leichter geworden. Es war fast neun Uhr, als Tom in den dunklen Hof trat, den Bauch voll mit Bier und Roastbeef. Aus einem Kellerfenster drang das klagende Quietschen einer Fiedel. Tom hatte eine Unterkunft für sich allein, verfügte also über den Luxus eines eigenen Zimmers, doch es drängte ihn nicht dorthin zurück. Eine Frau hatte er sich nie gesucht, warum, wusste er auch nicht genau, außer dass er schon immer gern mit sich allein gewesen war. Zwar hatte ihm das Leben im Laufe der Jahre das eine oder andere Mädchen zugespielt, doch früher oder später hatte eine stärkere Strömung sie alle wieder mit sich fortgerissen. Anfangs, als er nach London gekommen war, hätte er wohl so manche Chance gehabt, aber irgendwie hatte er sie immer zu spät erkannt und nicht rechtzeitig zugegriffen. Im Umgang mit anderen war er unbeholfen und nervös und brachte keinen

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