Der Vermesser (German Edition)
schluckte, schien das Wasser nicht nur in die Kehle zu rinnen, sondern auch aufwärts ins Gehirn, wo es dessen ausgedörrte Windungen benetzte. Die blutunterlaufenen Augenränder verdunkelten sich zu einem Taubengrau.
»Teşekkür ederim«, flüsterte er. »Danke.«
Die Zeit verging. Das Licht kam und verschwand. Wie halb vergessene Träume zerrten Geräuschfetzen an seiner Erinnerung, bevor sie sich wieder verflüchtigten und erneut Stille eintrat. Er fröstelte, dann wieder glühte er fiebrig heiß, und der unaufhörlich strömende Schweiß überzog seine Haut mit einer salzigen Kruste. Groteske Bilder irrlichterten durch seinen Kopf. Seine Mutter, die sein Gesicht streichelte und mit den Fingerspitzen die goldene Perle eines Sonnenstrahls auf seiner Wange berührte, während ihn sein Sohn anblickte, die starren Augen im rußigen Licht einer Binsenlampe tief umschattet. Pollys rosafarbener Mund, der das Wort Meath hauchte, den Namen des einbeinigen irischen Soldaten. Hawke, den Bart mit Speichel benetzt, der im Lieblingssessel seines Vaters saß, ein grünes Rechnungsbuch aufgeschlagen im Schoß. Alfred England, der ihm, beflissen lächelnd, einen Teller Kuchenstücke reichte, die aus Londoner Lehm gebacken waren.
Und ganz weit hinten, verschwommen im endlosen Dämmerlicht, Mr. Bazalgette, die Finger an den Lippen.
Versuchen Sie sich zusammenzunehmen, May,
murmelte der große Ingenieur.
Ein Ingenieur muss im Durcheinander seiner natürlichen Instinkte Ordnung schaffen. Ordnung, May, wenn ich bitten darf.
William konnte zwar Bazalgettes Gesicht nicht sehen, aber seine umschatteten Augen waren unentwegt auf ihn gerichtet, als wäre er nur ein, zwei Meter entfernt, ernst und finster vor Enttäuschung.
Ein Ingenieur schafft Ordnung.
Meine Hände zittern so, versuchte er einzuwenden, doch seine Lippen gehorchten ihm nicht. Stattdessen wiederholten sie immer und immer wieder die Worte des großen Mannes:
Ein Ingenieur schafft Ordnung, ein Ingenieur schafft Ordnung.
In der fiebrigen Verwirrung des Dämmerschlafs wiederholte er die Worte im gleichmäßigen Rhythmus einer Dampfmaschine, doch sie brachten ihm keinen Frieden. Sosehr er sich auch bemühte, vermochte er sich nicht zu erinnern, was er in Ordnung bringen sollte.
XIV
E ines Morgens sank plötzlich das Fieber, und William erwachte. Im kalten, grauen Licht, das durch das Rechteck des Fensters drang, zeichneten sich die Silhouetten der schwarzen, kahlen Äste ab. Vom Rahmen über dem Fensterbrett blätterte die Farbe. William wandte den Blick in die Ecke, wo gewöhnlich Mr. Bazalgette stand, den Kopf nachdenklich in die Hände gestützt, aber diesmal war da nur der geschwungene Waschtisch mit der vertrauten Waschschüssel, bemalt mit Vergissmeinnicht, und dem gestickten Ziertuch mit dem verheißungsvollen Spruch
Trautes Heim Glück allein
. Im Kamin knisterte ein schwaches Feuer. Als William den Kopf drehte, verspürte er einen leichten Schmerz zwischen den Schläfen, aber das Fieber war gewichen, er konnte den Kopf oben halten, und seine Stirn fühlte sich fast kühl an. Neben das Bett war ein Bugholzstuhl geschoben, über dessen Lehne eine Tartandecke hing. Auf den nackten Holzdielen stand ein Nähkorb mit einer achtlos hineingeworfenen Garnrolle; daneben der Wasserkrug mit dem Vergissmeinnicht-Muster und dem abgeschlagenen Ausguss, bedeckt mit einem weißen Tuch. Von der Straße drang das Rattern der Wagenräder auf dem Kopfsteinpflaster an sein Ohr und der verzagte Ruf »Milch! Das halbe Pint für einen halben Penny!« Ein Pferd wieherte. Gedämpft durch die Entfernung, wetteiferte das lang gezogene Tuten der Themsefähren mit dem schrillen Pfeifen eines abfahrenden Zuges. Er war zu Hause.
Einen vollkommenen Augenblick lang erfüllte ihn die Schlichtheit des kahlen Zimmers mit Frieden. Doch dann sickerten in dieses wohlige Gefühl die dünnen, säuerlichen Rinnsale flüchtiger Träume und halb vergessener Schrecknisse. Sein Magen krampfte sich zusammen, die Härchen auf seinen Armen sträubten sich.
»Polly?«, rief er mit leiser Stimme, die Zunge mangels Übung träge.
Kurz darauf hörte er das Tapsen bloßer Füße auf den nackten Holzdielen des Treppenabsatzes. William schluckte, dann hievte er sich mühsam auf die Ellbogen. In der offenen Tür stand unschlüssig der kleine William; das zerzauste Haar umrahmte sein schläfriges Gesicht. Mit großen Augen lugte er hinter der Wolldecke hervor, die er zusammengeknüllt in den Armen hielt. Der starre
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