Der Vermesser (German Edition)
vergessen.
Er kauerte sich neben Lady, zog die Faust aus der Tasche und betrachtete die Knöpfe in seiner ausgestreckten Hand. Sie waren nicht sonderlich kunstvoll: Perlmutt, eingefasst in Zinn. Doch im Schein der Laterne glänzte das Perlmutt in Rosa und Orange wie ein prächtiger Sonnenuntergang. Lady stupste sanft mit der Schnauze daran.
»Die gefallen dir, Mädel, nicht wahr?«, murmelte Tom und sah Lady an.
Die Hündin streckte ihre rosa Zunge heraus, ihr Stummelschwanz streifte über den Kellerboden. Tom lächelte sie an, nahm ihren Kopf und berührte ihre Schnauze mit seiner Nase. Ihre Barthaare kitzelten seine Oberlippe.
»Sie gehören alle dir«, flüsterte er.
Ganz sanft, zart wie ein warmer Atemhauch, leckte Lady seine Wangen. Toms Finger ertasteten die empfindliche Stelle an ihrem Bauch und kraulten sie dort. Sie legte den Kopf zurück und räkelte sich wohlig in der Liebkosung. Tom ließ die Knöpfe wieder in seine Tasche gleiten, legte den Arm um die Hündin und zog sie zu sich heran.
»Wir sollten nach Hause gehen«, murmelte er, ohne sich jedoch vom Fleck zu rühren. Auch Lady blieb reglos. Er hielt sie dicht an sich gepresst, prägte sich die Musterung ihres Fells am Kopf ein, die dunklen Falten ihres Zahnfleischs, die Höcker von Schultern und Rückgrat, die sich gegen seinen Bauch drückten. Bald schmerzten ihn seine steifen Knie, doch Tom schenkte dem Schmerz keine Beachtung. In seiner Brust tat sich ein schwarzes Loch auf. Wenn er aufstand, würde ihm schwindlig werden. Also blieb er, wo er war, mit schmerzenden, verkrampften Knien, die Arme um die Hündin gelegt. Sein Hundert-Guineen-Mädchen. Seine Tränen fielen auf den schwarzen Samt ihres schrundigen Ohrs, funkelnd wie Diamanten.
XVI
D ie Schankstube im Erdgeschoss des Badger war voller, als Tom es je erlebt hatte. Der Lärm erfüllte den Raum wie dichter Nebel, so dass man ein Geräusch überhaupt nur dann identifizieren konnte, wenn man sich in unmittelbarer Nähe seiner Quelle befand, und auch dann nur für einen kurzen Moment, bevor es von dem übrigen Gedröhne verschluckt wurde. Jeder Gedanke, den man im Kopf hatte, wurde erstickt vom Geschrei ringsumher, vom Poltern der Stiefel und Klappern der Krüge, vom Winseln und Knurren der Hunde, vom Klirren der Ketten, mit denen sie an den Holzbänken festgebunden waren. Und auf das ganze Durcheinander legte sich der dichte Qualm der Lampen und Kerzen, des Kaminfeuers und der hundert Stummelpfeifen.
Weihnachten stand vor der Tür. Nur zwei Straßen weiter schmiegten sich vornehme Läden, die riesigen Fenster von Gaslampen erleuchtet und mit Seidenstoffen in allen erdenklichen Farben bestückt, wie das Halsband einer Herzogin um den geschwungenen Bogen der Regent Street. Auf den Trottoirs drängten sich elegant gekleidete Menschen, die die Straße entlangschlenderten, die Auslagen bewunderten und kaum auf ihre Wertsachen achteten. Kein Wunder, dass auch die Stimmung in der kleinen verrauchten Schankstube ausgelassen war. Als Lady sich an seine Beine drückte, bückte sich Tom und hob sie hoch. Sie bettete das Kinn auf seine Schulter. Tom war ganz flau im Magen, und er spürte ein Ziehen in den Oberschenkeln. Hier war er nun, an dem Abend, der ihm ein kleines Vermögen einbringen sollte, und wünschte sich doch sehnlichst, an einem anderen Ort zu sein.
Plötzlich stand Brassey neben ihm.
»Tom«, sagte er und starrte Lady mit seinen kleinen Krötenaugen an. »Halt dich bereit. Wenn du mich als Idiot dastehen lässt …«
Er beließ es dabei und setzte sein schmieriges Grinsen auf. Tom hatte gute Lust, ihm einen Faustschlag zu verpassen, aber wozu? In dem Gedränge konnte der Wirt gar nicht umfallen, selbst wenn Tom ihn grün und blau prügeln würde.
»Wir sind bereit«, murmelte Tom stattdessen.
»Ein hübsches Halsband, was dein Köter da hat«, meinte Brassey, und seine Augen funkelten. »Es ist doch ihres, oder?«
Tom runzelte die Stirn. Es ging ihm gegen den Strich, dass Brassey ihn behandelte, als wäre er ständig auf der Flucht vor der Polizei, und so tat, als würde er, Brassey, ihn aus reiner Gutherzigkeit nicht bei den Polypen verpfeifen. Wo doch jeder hier in der Schankstube wusste, was für ein windiger Bursche der Wirt war. Tom war sehr darauf bedacht gewesen, Lady ein anständiges Halsband zu besorgen, eines, das richtig gut gemacht war. Also hatte er einem Falschmünzer in der Drury Lane fast eine ganze Krone dafür bezahlt, dass er die Steckknöpfe des
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