Der Vermesser (German Edition)
allerseits.«
Das Gesicht des Captain glühte, die roten Flecken auf seinen Wangen leuchteten wie bei einer Straßenhure. Auch seine Lippen waren rot und glänzten feucht, und er leckte immer und immer wieder mit der Zunge darüber. Die Poren auf seiner Haut waren deutlich als schwarze Punkte zu erkennen, seine Pupillen waren unnatürlich groß, die Iris nur ein schmaler Kreis. Tom schnupperte, aber zu seiner Überraschung roch er ihn nicht heraus, den brünftigen Moschusgeruch der Hurerei. Er roch nur den Whisky und die alles durchdringende Feuchtigkeit von Nebel und Schnee, metallisch wie Blut. Tom kniff die Augen zusammen.
»Gilt die Abmachung noch?«, fragte er fordernd.
Der Captain neigte den Kopf.
»Einhundert Guineen?« Tom ließ nicht locker.
»Hatten wir das ausgemacht?« Die Augen des Captain funkelten, als er grinste und dabei seine scharfen, gelben Zähne entblößte. »Dann gilt es selbstverständlich. Einhundert Guineen.«
Vielleicht hatte Brassey durchs Schlüsselloch gespäht, vielleicht besaß er aber auch den Instinkt einer Kröte beim Aufspüren von Fliegen. Jedenfalls stand er plötzlich mit gespreizten Beinen in der Schankstube, die Füße in den feinen Schuhen, noch bevor sein Gehilfe Zeit gehabt hatte, eine Flasche auf den Tisch zu stellen. Mehrere Hunde seien bereits angetreten, sagte er zu den Herren. Dabei wackelte er aufgeregt mit dem Kopf. Aber es stünde noch mindestens ein Kampf bevor, wenn die Herren gern etwas zur Einstimmung hätten. Andernfalls würde er sofort die Arena freimachen für den großen Kampf. Ganz wie die Herren wünschten. Er strich sich über den gewölbten Bauch, während er im Geist seinen Gewinn überschlug.
Während sich seine Begleiter auf den Brandy stürzten, winkte der Captain Tom zu, Lady auf den Tisch zu stellen, damit er sie begutachten konnte. Anders als seine Kumpane, die mit trübem Blick und schwerer Zunge nach ihren Gläsern tasteten, wirkte der Captain vollkommen nüchtern. Er atmete in kurzen Stößen, den Mund zu einem Grinsen verzerrt.
»Dann bist du also ein richtiger Killer, Mädel?«, murmelte er Lady zu. Seine glänzenden roten Lippen zeichneten sich scharf unter dem schwarzen Backenbart ab. Er drückte ihr Maul so fest, dass sie aufjaulte. »Bist schon aufgeregt? Hast Blut geleckt, was?«
Tom sagte nichts. Er hielt den Blick gesenkt, die Hände in den Hosentaschen zur Faust geballt. Als Brassey die Herrschaften nach oben führte, folgte er ihnen nicht. Es dauerte noch drei, vier Runden, bis Lady an der Reihe war. Sie lag zu seinen Füßen. Er berührte sie nicht. Reglos saß er da, die Hände im Schoß, den Kopf leer. Wenn er jetzt anfing zu denken, konnte er nicht mehr aufhören. Und so starrte er auf die rußigen Schatten an der Wand, und wartete.
Als sie schließlich gerufen wurden, war Lady eingeschlafen. Sie blinzelte Tom benommen an, als er sie weckte. Warum hatte er bloß nicht daran gedacht, sie wach zu halten, schalt er sich wütend. Er hätte sie mit irgendetwas beschäftigen sollen, um ihre Aufmerksamkeit zu schärfen. Jetzt, nach diesem Nickerchen, war sie gewiss langsamer als sonst. Tom war aufgeregt und zugleich entmutigt. Oben angelangt, stellte er die Hündin auf das Podest und trat zurück. Sofort scharte sich das Publikum um sie, schaute ihr ins Maul und betastete ihre Pfoten. Als das erledigt war, drängelten sich die Kampfbegeisterten rempelnd und schubsend um Brassey und flüsterten ihm ins Ohr, und der Wirt nickte und kritzelte die Wetteinsätze auf ein gefaltetes Stück Papier. Er bemühte sich zwar um eine feierliche, dem gewichtigen Anlass angemessene Miene, aber der Triumph stand ihm ins Gesicht geschrieben. Murmelnd wurden Kommentare und bedeutungsvolle Blicke gewechselt. Die Arena war blutverschmiert. In einer Ecke wischte sich Brasseys Gehilfe die Nase am Handrücken ab und warf tote Ratten, die er an den Schwänzen packte, in einen morschen Korb.
Der Captain und seine Begleiter in ihrer Loge trommelten ungeduldig auf die Bretterwand der Arena. Neben ihnen auf der Ablage hatte sich ein ganzes Arsenal aus Flaschen und schmutzigen Gläsern angesammelt. Einem der Herren hing der Kopf seltsam schief, als würde er ihm gleich herunterfallen, und seine Wangen waren grün wie Brunnenkresse. Der Captain versetzte ihm einen sanften Stoß, und sichtlich bemüht, den Kopf gerade zu halten, fingerte der grüngesichtige Herr einen Geldschein aus seiner Brieftasche und hielt ihn wedelnd dem Captain hin, als wäre diese
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