Der Vermesser (German Edition)
Banknote der Grund für all seinen Kummer und der Captain müsste ihm die Ehre erweisen, ihn anzunehmen. Der Captain bleckte die Zähne zu seinem Wolfslächeln, nahm den Schein, faltete ihn sorgfältig und klopfte dem grüngesichtigen Herrn auf die Schulter, dass er beinahe hinfiel. Er taumelte gegen die Wand, glitt mehr durch Glück als durch Zielgenauigkeit auf den Stuhl, der neben ihm stand, und schloss die Augen.
Brasseys Gehilfe läutete ein Glöckchen zum Zeichen, dass jetzt keine Wetten mehr entgegengenommen wurden, während Brassey ein paar letzte Notizen auf seinem Papier machte. Dann nickte er Tom zu. Die Zuschauer drängten sich näher an die Arena heran und schubsten einander mit den Ellbogen, um einen guten Platz zu ergattern. Wütende Flüche wurden ausgestoßen, Gläser verschüttet. Dann klatschte Brassey in die Hände, und es wurde still.
»Und nun, meine Herren, ist der Augenblick gekommen, auf den wir alle gewartet haben. Der Höhepunkt dieses erfreulichen Abends, an dem die Favoritin des ganzen Bezirks, uns Sportsfreunden schlicht unter dem Namen Lady bekannt, antritt, um achtzehn große Ratten in einer einzigen Minute zu töten.«
Er nickte seinem Gehilfen zu, der den Drahtkäfig mit den Ratten in die Arena hob. Es waren nicht Toms Ratten. Brassey zufolge hatte der Captain auf diesem Detail bestanden, damit alles ehrlich zuging. Trotz seiner fiebrigen Aufregung fragte sich Tom, woher und zu welchem Preis Brassey die Viecher wohl bekommen hatte. Der Gehilfe öffnete die Käfigtür, steckte die Hand hinein und rührte in der wogenden Masse wie in einem Brei. Der grüngesichtige Herr beobachtete die Szene mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht, um dann ganz gemächlich seinen Mageninhalt in eine Ecke der Loge zu ergießen. Keiner seiner Begleiter zollte ihm auch nur die geringste Beachtung. Vielmehr klopften sie einander auf die Schultern, die elegante Kleidung verrutscht, der Blick gierig nach Blut. Nur der Captain verharrte reglos, die Augen starr auf die Ratten gerichtet, die aus dem Käfig strömten und sich zu einem wimmelnden schwarzen Knäuel am hinteren Ende der Arena sammelten.
»Zwanzig!«, rief der Gehilfe und schloss den Käfig.
Mit großer Gebärde kletterte Brassey auf einen Stuhl dicht neben der Loge der Herrschaften, zog eine Taschenuhr aus seiner Weste und hob, um Ruhe bittend, die Hand. Das Publikum hielt den Atem an, als Tom mit Lady auf dem Arm über die Wand des Kampfplatzes kletterte. Die Hündin gab keinen Muckser von sich, doch beim Anblick der Ratten sträubte sich ihr das Fell, und ihre Beine fingen an zu vibrieren wie die Saiten einer Fiedel.
»Achtung! Und los!«
Brassey gab das Startsignal, woraufhin Tom die Hündin losließ. Schnell wie der Blitz schoss sie durch den Ring, tauchte den Kopf in den wogenden Haufen und zog ihr erstes Opfer heraus. Es waren enorm große Ratten, mit Schädeln groß wie Orangen, aber gegen Ladys Geschick und Schnelligkeit konnten sie nichts ausrichten. Die Tiere wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Lady biss ihnen die Kehle durch und schleuderte ihre leblosen Körper auftrumpfend beiseite wie ein Straßenhändler, der sich über ein Brathuhn hermacht. Tom im Kreidekreis des Sekundanten, den er nicht verlassen durfte, konnte nur dastehen und zusehen. Und noch immer zeigte Lady keine Müdigkeit. Packen und fortschleudern. Packen und fortschleudern. Je mehr der Boden mit Blut bespritzt und mit Rattenkadavern übersät war, desto lauter wurden die Rufe und desto heftiger wurde mit den Füßen gestampft, bis der ganze Raum erbebte. Tom wandte sich nicht zur Loge um, sein Blick war ganz auf Lady konzentriert, fast als wäre er an ihrer Stelle. Und so sah er nicht, dass der Captain zwar vollkommen reglos dastand, aber seine Wolfsaugen funkelten und der Schweiß auf seiner Stirn glänzte wie Eis an einer Fensterscheibe. Die Arme seitlich herabhängend, hatte er die Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel weiß im Vorgefühl des Sieges.
»Und Ende!«, rief Brassey.
Das Geschrei war jetzt ohrenbetäubend. Tom schnippte mit den Fingern, und augenblicklich ließ Lady die Ratte in ihrem Maul fallen, so grazil wie eine Dame ihr Taschentuch, und setzte sich auf die Hinterläufe, die Pfoten artig nebeneinander. Ringsum lagen dunkle Fellklumpen verstreut. Es würde eine offizielle Zählung geben, so war es üblich, aber Tom wusste auch so, dass Lady ihre Sache gut gemacht hatte. In der Arena waren zwanzig Ratten gewesen. Jetzt, eine Minute später,
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