Der Vermesser (German Edition)
warf einen vorsichtigen Blick in den Raum. Die Tür zu Hawkes Büro stand offen, zu seiner Erleichterung war jedoch weder Hawke irgendwo zu sehen noch der junge Schreiber, der ihm als Türsteher diente.
William durchmaß den Raum und nickte den zwei, drei Männern zu, die die Köpfe hoben, als er vorbeiging. Sie antworteten ihrerseits mit einem angedeuteten Nicken und verschwendeten, wie immer, keinen weiteren Gedanken an ihn. An der hinteren Wand hingen Tabellen und Schautafeln, die die Abschnitte des Tunnelprojekts darstellten, an denen gerade gearbeitet wurde. Schnell fand William, wonach er suchte. Eine Gruppe von Ausspülern sollte laut Plan kurz nach zwei Uhr in den Abschnitt am Regent Circus hinuntersteigen. Er sah auf die Uhr. Ihm blieben noch mindestens dreißig Minuten Zeit. William eilte zur Treppe, wo er fast mit Hawkes jungem Schreiber zusammengestoßen wäre. Er trug eine Schüssel in der Hand, über die ein fleckiges Tuch gebreitet war.
»Wollten Sie schon wieder zu Mr. Hawke, Sir?«, fragte Spratt, und seine Augen blitzten neugierig. »Sie scheinen ein Masochist zu sein.«
»Ich habe mit Mr. Hawke bereits alles besprochen, danke«, antwortete William steif. Spratt stand breitbeinig in der Tür und machte keine Anstalten, zur Seite zu treten. Er grinste höhnisch, als William sich an ihm vorbeidrückte, und sah dem Vermesser neugierig nach, der die Treppe hinunterhumpelte. Am unteren Treppenabsatz musste William kurz innehalten, um Luft zu schöpfen, die Hand auf dem Geländer. Unwillkürlich hob er den Kopf. Spratt verzog den Mund zu einem Grinsen, wischte sich mit dem Handrücken genüsslich die Nase ab und hob dann dieselbe Hand zu einem matten Gruß. William spürte, wie ihm die Röte in den Nacken schoss. Eilig humpelte er weiter.
Der kleine Holzschuppen mit einer wasserdichten Plane als Dach war einer von mehreren, die die Ausspüler als Unterstand und Werkzeuglager zusammengezimmert hatten. Er befand sich am nördlichen Ende des Regent Circus in dem Durchgang, den die Anwohner Flower Lane, Blumengasse, nannten, auch wenn seit Menschengedenken keine einzige Blume so töricht war, ihr Glück in dem dunklen, sauren Erdreich dieser Gasse zu versuchen. Als William anklopfte, rief ein Ausspüler schläfrig »Herein«, und nachdem William ihm sein Anliegen vorgetragen hatte, erhielt er, wenn auch widerwillig, die für den Abstieg in die Abwasserkanäle notwendige Ausrüstung. Williams Mantel und Hose hängte der Ausspüler umstandslos an einen rostigen Nagel in der Wand.
»Und wo genau wollen Sie hin?«, fragte der Vorarbeiter stirnrunzelnd, der Augenblicke später hereinkam. Er kannte William gut und brachte ihm wegen seiner genauen Kenntnis der Abwasserkanäle und wegen der Ruhe und Gelassenheit, mit der er sich im Untergrund bewegte, widerwillig Respekt entgegen. Doch Williams Ansinnen verzögerte die Durchführung der anstehenden Arbeiten und war ihm lästig. »Es wird Regen erwartet, und der Pegel steigt.«
William trug sein Anliegen erneut vor. Bei seiner Inspektion habe einer der Lehrlinge in einem der kleineren Tunnel ein Mauerwerk entdeckt, das von besonderem Interesse sei. William wollte es selbst in Augenschein nehmen, aber der Lehrling, der den Verlauf der Abwasserkanäle nicht gut kenne und schnell wieder nach oben wollte, habe ihm die entsprechende Stelle nicht exakt beschreiben können. William wäre daher sehr dankbar, wenn ein erfahrener Ausspüler ihn begleiten würde, damit er den Bericht des Lehrlings überprüfen könne.
Der Vorarbeiter seufzte. »Eine Stunde. Mehr nicht. Und wenn wir mit dem Deckel klappern, müssen Sie raus.«
William war einverstanden. Jede Faser seines Körpers kribbelte vor Erregung und Angst. Sie würden den Toten finden, daran zweifelte er nicht. Er befestigte seine Laterne am Latz seiner Schürze und folgte dem schläfrigen Ausspüler die eiserne Leiter hinunter in die Tunnel.
Sobald er den Fuß ins Wasser gesetzt hatte, fing sein Herz an zu rasen. Der Schachtdeckel über ihm schloss sich mit einem lauten Knall, dann war es schlagartig dunkel. Im fahlen Lichtkegel seiner Laterne sog William die faulige, feuchte Luft ein. Gewöhnlich wirkte dieser Geruch beruhigend auf ihn, doch diesmal überkam ihn eine Übelkeit, die ihn in der Kehle würgte. Seine Hände zitterten. Er vergrub sie in den Taschen seiner Schürze und spannte die Beinmuskeln an, um schneller gegen die Strömung vorwärts zu kommen. Die Laterne des Ausspülers schaukelte vor ihm im
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