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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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ihm William eine Nachricht, dass er ihn am folgenden Tag zu sprechen wünsche, wann immer Hawke Zeit habe. Dann ging er nach Hause. Er hörte Polly in der Küche hantieren. William zog leise die Stiefel aus und schlich sich nach oben. Der kleine Di lag schlafend in seinem Bettchen, das Haar zerzaust, die Ärmchen ausgebreitet. William betrachtete ihn eine Weile, schließlich legte er sich neben ihn, vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken. Der warme Atem des Jungen roch nach frisch gebackenem Brot. Wenn ihm irgendetwas zustoßen würde … William konnte den Gedanken kaum ertragen. Als Polly ihn fand, schlief auch er tief und fest. Ihr erster Impuls war, ihn wach zu rütteln und aus dem Zimmer zu scheuchen, doch dann hielt sie zögernd inne. William hatte den Arm um seinen Sohn gelegt, dessen pummeliges Händchen wie ein Seestern auf den Arm seines Vaters gebettet war. Ihre Haare berührten sich auf dem Kopfkissen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in einträchtig ruhigem Rhythmus. Seufzend zog Polly die Decke hoch, so dass beide zugedeckt waren, und ging dann selbst zu Bett.
    Am nächsten Tag ließ Hawke William ausrichten, er habe kurz vor Mittag Zeit für ihn. Auf dem Weg zu Hawkes Büro kämmte sich William kurz das Haar und richtete seine Halsbinde. Doch als er vor der Tür stand, war Hawke noch beschäftigt, und William musste ziemlich lange warten. Er saß auf einem unbequemen Stuhl, der eigens für ihn bereitgestellt worden war. Seine Hände bewegten sich rastlos im Schoß. Der junge Schreiber, der in der Schreibnische vor Hawkes Tür saß, musterte ihn mit unverschämter Miene von oben bis unten, während er seine schmutzigen Fingernägel mit einem Brieföffner säuberte. Endlich wurde William hineingerufen. Als der Schreiber hinter ihm die Tür schloss, bebte der Rahmen von der Erschütterung, und der Luftzug wirbelte die Dokumente auf Hawkes Schreibtisch durcheinander.
    Hawke saß hinter seinem massiven Schreibtisch, die Hände verschränkt, und sah William unwillig an, ohne ihm einen Platz anzubieten.
    »Was wollen Sie?«, fragte er unwirsch, nicht einmal den Schein der Höflichkeit wahrend.
    »Es … es ist wegen England & Son«, begann William.
    Hawke stand auf. Geblendet vom Licht, das durch das Fenster hereinfiel, konnte William Hawkes Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber sein Schatten fiel auf ihn wie eine Bedrohung.
    »Ach ja, tatsächlich?«, sagte er leise, und seine dunklen Augen blitzten.
    »Ja, Sir. Er war doch bestimmt sehr unzufrieden, dass der Auftrag an die Ziegelei in Strowbridge ging …«
    »Worauf wollen Sie hinaus, May?«
    Die Drohung in Hawkes Ton war unverkennbar.
    »Ich möchte lediglich vorschlagen, dass er sich um den Auftrag für Abbey Mills bewerben soll, Sir«, stieß William hervor. »Der Bedarf an gewöhnlichen Londoner Mauerziegeln wird dort sehr groß sein, und mit seinen moderaten Preisen hätte er, glaube ich, eine gute Chance, den Auftrag zu bekommen.« Er räusperte sich und sah auf seine Hände hinunter. »Ich würde mich für ihn einsetzen, Sir. Das möchte ich ihn gern wissen lassen.«
    Die Antwort war höhnisches Gelächter. Williams Mut sank.
    »Das möchten Sie, was?«, gab Hawke spöttisch zurück.
    Wieder stieß er ein verächtliches Lachen aus. William beobachtete mit Unbehagen, wie Hawke sich aufrichtete, den Blick zum Fenster wandte und die Finger lang zog. Unter seinem dunklen Backenbart zuckte ein Muskel. William schwieg.
    »Ist es wahr, dass Sie Mr. England gedroht haben, ihn umzubringen?«, fragte Hawke schließlich.
    »Nein! Wenn jemand gedroht hat, dann Mr. England. Sie glauben doch nicht etwa …«
    Hawke wischte Williams Worte mit einer Handbewegung beiseite. »Falls ich ihn mal treffe, werde ich ihm sagen, dass Sie Wiedergutmachung leisten wollen. Obwohl ein solches Angebot jetzt vielleicht ein wenig zu spät kommt.« Sein Mund verzog sich zu einem merkwürdig gedehnten Grinsen. »Ich fürchte, Ihre Probleme mit England fangen jetzt erst an.«
    »Ich möchte hoffen, dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten …«
    »Tatsächlich? Tja, Ihr Optimismus ist löblich.«
    Hawke betätigte eine Metallklingel auf seinem Schreibtisch, und sofort ging die Tür auf, und der Schreiber erschien. Hawke machte sich an irgendwelchen Schriftstücken auf seinem Schreibtisch zu schaffen. Seine Mundwinkel zuckten.
    »Ah, Spratt, gut. Bringen Sie mir den Monatsbericht«, befahl er, ohne aufzublicken. »Ich muss heute Nachmittag dem Ausschuss Bericht erstatten.

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