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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Luft reckte oder sich den Bauch im Staub rieb, machte sein
    Herz einen Sprung. Mehr als einmal rief er ihren Namen. Aber
    nie war sie es. Ihm taten die Füße weh. Er, der stets die Einsam-
    keit gesucht und sich nur dann wirklich wohl gefühlt hatte,
    wenn er für sich war, spürte nun die Last des Alleinseins schwer
    wie einen Mantel auf den Schultern.
    Einem plötzlichen Impuls nachgebend, folgte er dem ver-
    schlungenen Verlauf einer Gasse bis hinunter zur Themse. Selbst
    am Sonntag herrschte auf den Docks geschäftiges Treiben; Rufe
    in allen möglichen Sprachen hallten durch den frühen Abend
    und vermischten sich mit dem Platschen des Wassers, mit Ham-
    merschlägen, den Klagelauten von Tieren und Kettengerassel.
    Zwischen den Ausdünstungen von Schlamm, Salz, Teer und
    Schweiß machte Tom den herben Geruch von starkem Tabak
    aus, das sonnengesättigte Aroma von Rum, den ranzigen Ge-
    stank von Häuten, die fremdländischen Wohlgerüche von Kaffee

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    und Gewürzen, den warmen Brodem von Wein und den Hefe-
    duft von Trockenfäule. Am Kai löschte gerade eine sardische
    Brigg ihre Ladung, und am Ufer stapelten sich Tonnen und Fäs-
    ser. Tom musste zur Seite treten, als sich sechs nebeneinander
    gehende Matrosen von der Brigg an ihm vorbeidrängten. Unter
    ihren schwarzen Bärten glitzerten goldene Ohrringe, und ihre
    roten Hemden steckten an der Taille in bunten Schärpen. Sie ro-
    chen streng nach Schweiß und Knoblauch und ließen ihre reich-
    lich vorhandenen Goldzähne funkeln, wenn sie grinsten und he-
    rumalberten und den düsteren Winternachmittag mit der Musik
    ihrer fremdartigen Laute erfüllten. Ein wenig entfernt im Schat-
    ten eines hoch aufragenden Lagerhauses warf eine Schenke ihr
    Licht auf den schlammigen Boden. Durch das laute Stimmenge-
    wirr hindurch vernahm Tom undeutlich das Kreischen einer
    Fiedel, die ein irisches Tanzlied spielte.
    Er trat ein. Die Taverne war gerammelt voll mit Seeleuten,
    die in einem Dutzend verschiedener Sprachen durcheinander
    schrien, und alles drängte sich um einen Geiger mit einer roten
    Halsbinde, der auf einem Tisch in der Mitte der Gaststube stand.
    Sein Bogen bearbeitete die Fiedel mit solchem Schwung, dass
    man hätte meinen können, er wolle sie geradewegs in zwei Teile
    zersägen, und er stampfte mit dem Stiefel auf die abgestoßene
    Tischplatte, bis der ganze Tisch im Takt der Musik hüpfte. Um
    ihn herum grölten und klatschten die Matrosen mit und gaben
    ihren Sold mit vollen Händen aus. Eine Frau mit verfilztem Haar
    und den flinken Augen eines Wiesels zupfte ihren Mann am
    Wams, endlich mit ihr nach Hause zu kommen. Er schlug ihr auf
    die Hände und versetzte ihr obendrein eine Ohrfeige, um sich
    dann zu seinen Kumpanen zu gesellen, die ihn in ihrer Mitte
    aufnahmen. Die Frau spuckte verächtlich vor den Männern aus,
    warf ihnen einen Schwall von Flüchen an den Kopf und stürmte
    aus der Schenke.

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    Tom suchte sich eine Ecke, wo die Gefahr nicht so groß war,
    auf die Zehen getreten zu werden, und ließ mit geschlossenen
    Augen das Stampfen und Kreischen der Musik auf sich wirken.
    Zwei Männer, allem Anschein nach Tagelöhner, stellten neben
    ihm ihre Krüge auf dem Fenstersims ab.
    »Hör mal, gestern Abend hab ich was gesehen, das glaubst du
    nicht«, brüllte der eine dem anderen ins Ohr. »So was hab ich
    mein Lebtag noch nicht gesehen.«
    Über seinen Krug gebeugt, zog der andere eine Augenbraue
    hoch und sog an seiner Pfeife.
    »Drüben bei Spanks. War ziemlich ekelig, das Ganze. Aber so
    wahr ich hier steh, kein Mörder in der ganzen Menschheitsge-
    schichte war auch nur halb so blutrünstig. Hat zwanzig Ratten in
    ̕ner einzigen Minute erledigt – ich würd̕s nicht glauben, wenn
    ich̕s nicht mit eigenen Augen gesehn hätt. Und dabei war der
    Hund still wie das Grab – kein Mucks – von Anfang bis Ende. Ich
    hätt ihn für ein Gespenst gehalten, wenn er nicht einem Ge-
    schäftsmann ...«
    Tom packte den Tagelö ner an d
    h
    er Jacke.
    »Was zum Teufel ...«, mischte sich der andere ein, aber Tom
    schnitt ihm das Wort ab.
    »Wo war das?«, fragte er und beugte sich so nah zu ihm, dass
    ihre Nasen sich fast berührten. »Der Hund, wo hast du den ge-
    sehen? Sag̕s mir, du Mistkerl! Und zwar sofort, oder ich dreh dir
    den Hals um, verstanden?«
    Der Tagelöhner schüttelte ihn ab. Er war von kräftiger Sta-
    tur, und seine Augen waren kaum mehr als Schlitze unter der
    vorspringenden breiten Stirn. »Tja, so einfach ist das

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