Der Vermesser
vorgehen sollte.
Kurz nach zehn pochte jemand an die Falltür. Als sie auf-
schwang, hob Spanks, der Wirt, ein Mann jenseits der Lebens-
mitte, aber mit dem gierigen Blick und der gockelhaften Groß-
spurigkeit eines Mannes, der noch einige Jahrzehnte vor sich zu
haben glaubt, i
d e Hand zum Gruß und schürzte die Lippen zu
einem gellenden Pfiff.
»Wie geht es Ihnen, lieber Herr Doktor?«, tönte Spanks ge-
stelzt und entkorkte mit einem triumphierenden Knall eine Fla-
sche Brandy. »Darf ich Ihnen ein kleines Stärkungsmittel ver-
schreiben?«
Es war der Captain, kein Zweifel. Er trug einen einfacheren
Gehrock als den, den Tom kannte, und hatte eine Ledertasche
unter dem Arm, wie sie Ärzte gern mit sich führen, aber sonst
hatte er sich keine Mühe gegeben, sich zu verkleiden. Und natür-
lich hatte er Lady dabei. Lady. Tom musste sich am Tisch festhal-
ten, um sich wieder zu fassen, so heftig rührte ihn ihr Anblick.
Sie sah gut aus, dachte Tom. Eigentlich hatte er nicht erwartet,
sie in so guter Verfassung zu sehen, und Erleichterung und Ent-
täuschung stritten so in ihm, dass ihm übel wurde. Sie stand
dem Captain bei Fuß, den Hals gereckt, die Schnauze in der Luft.
Tom verschlang sie regelrecht mit den Augen und wünschte sich,
sie würde ihn bemerken; zugleich flehte er inständig, dass sie ihn
nicht verriet. Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen.
Denn die Wettkampfbegeisterten in diesem Teil der Stadt hatten
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bereits Wind bekommen, dass hier etwas Besonderes zu erwar-
ten war, und so scharten sie sich um die Hündin und rempelten
sich gegenseitig an, um einen besseren Blick auf sie zu erha-
schen. Der Captain hob sie auf einen Tisch und stellte sich, eine
Hand besitzergreifend auf ihrem Rücken, neben sie, damit alle
Welt sehe, dass er ihr rechtmäßiger Besitzer war. Tom presste die
Fäuste fest auf die Oberschenkel und biss sich auf die Lippen,
um nicht aufzuspringen und dem betrügerischen Lump einen
Schlag zu verpassen, den er sein Lebtag nicht vergessen würde.
Wie Tom erwartet hatte, war der Captain nicht allein gekom-
men. Er hatte zwei Begleiter bei sich. In dem einen erkannte Tom
den schmalgesichtigen feinen Pinkel aus dem Badger wieder,
während ihm der andere fremd war, ein Kerl mit einem Quadrat-
schädel und einem Doppelkinn, das jedes Mal seinen steifen Kra-
gen berührte, wenn er trank, was oft geschah. Der Captain selbst
schien in ungewöhnlich ausgelassener Stimmung zu sein, wein-
selig. Er schwang die Beine auf einen Stuhl, goss sich ein großes
Glas Brandy ein und nahm einen Schluck. Vorsichtig, um nicht
entdeckt zu werden, schlich sich Tom näher an seinen Tisch he-
ran. Jetzt konnte er Lady besser sehen, zumindest ihren hinteren
Körperteil, den rosa geränderten Rumpf und den abgenagten
Stummelschwanz. Er musste sich mit aller Kraft zusammenneh-
men, um nicht den Arm auszustrecken und sie zu berühren.
Bald schon wurden die Wetten abgeschlossen, und das Publi-
kum platzierte lautstark bei Spanks die Einsätze. Im Ring tän-
zelte ein drahtiger Terrier um einen Haufen Ratten herum wie
ein nervöser Freier. Nur sein Sekundant schenkte ihm über-
haupt Beachtung.
»Ein Tier wie dieses hat bestimmt eine schöne Stange Geld ge-
kostet«, raunte der Quadratschädel dem Captain zu und nickte
dabei in Richtung Lady, wobei sein Doppelkinn heftig ins Wa-
ckeln geriet.
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»Da unterschätzen Sie mich aber«, erwiderte der Captain und
entblößte dabei die Zähne. »Selbstverständlich habe ich sie für
weniger als die Hälfte dessen erworben, was sie tatsächlich wert
ist.«
Der Quadratschädel zog die purpurrote Stirn hoch.
»Sagen wir mal, ihr vorheriger Besitzer war ein rechter Ein-
faltspinsel«, meinte der Captain gedehnt. »Ein Kanaljäger der
untersten Sorte.« Der Quadratschädel verzog verächtlich den
Mund. »Nun, das hat auch seine Vorteile. Zumindest für mich.
Mir scheint, der Gestank in diesen Kloaken ist so übel, dass er
das Hirn eines Mannes zu Scheiße macht.«
Der Quadratschädel lachte laut auf, und der Captain grinste af-
fektiert. Er lehnte sich zurück und wollte noch etwas sagen, als
plötzlich eine schrille Glocke erklang. Schon im nächsten Mo-
ment drängten die Zuschauer schneller aus der Kampfarena, als
Wasser durch eine Röhre fließt, und Spanks̕ Gehilfe sprang in den
Ring, um die noch lebenden Ratten so rasch wie möglich in den
Käfig zurückzuscheuchen. Spanks kam auf
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