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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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den Captain zugeeilt.
    »Die Polypen sind im Anmarsch, meine Herren«, flüsterte er
    und deutete dabei mit dem Kopf zur Zimmerdecke. »Tut mir
    leid. Jemand muss ihnen einen Wink gegeben haben. Wenn Sie
    mir folgen wollen ...«
    Der Captain griff mit der einen Hand nach der Brandyflasche,
    mit der anderen nach Ladys Leine. »Und was wird aus dem
    Kampf?«, fauchte er Spanks an, der ihn und die verbliebenen
    Zuschauer zu einer zweiten Falltür an der feuchten Mauer hinter
    einem Eisengitter dirigierte. Tom senkte den Kopf und schlug
    den Kragen hoch. Lady, nur zwei, drei Meter vor ihm, hob die
    Schnauze und schnüffelte, ihr rosa Gesicht verwirrt und wach-
    sam. »Es ist mir egal, wenn die Wetteinsätze nicht so hoch sind,
    wie Sie es mir versprochen haben. Wenn Sie es riskieren würden,
    nur einen Augenblick ...«

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    »Nächste Woche, mein lieber Freund«, erwiderte Spanks mit
    sanfter Stimme und drängte die letzten Männer zur Eile. Der
    Captain bemerkte nicht, wie Tom lautlos an ihm vorbeischlich,
    aber Ladys Nase zuckte für einen kurzen Augenblick. Als Spanks
    den Schlüssel umdrehte und ihn unter seinen Rockschößen ver-
    schwinden ließ, zerrte sie an der Leine. »Nächste Woche. Die
    Wetten stehen.«
    »Sorgen Sie gefälligst dafür, dass sich das Warten auch lohnt«,
    fauchte der Captain durch das Gitter, und erneut tönte von der
    Treppe der Klang von Metall auf Metall wie bei einem Schmied.
    »Ich will doppelt so hohe Wetten, verstanden? Doppelt so hohe!«
    Blitzschnell wandte sich Tom um und zwinkerte Lady zu, einen
    Finger an den Lippen. Mit verhaltenem Winseln wedelte sie wild
    mit dem Stummelschwanz und wollte sich auf ihn stürzen, doch
    der Captain riss sie an der Leine zurück.
    »Nun machen Sie doch endlich!«, rief der Quadratschädel
    nervös aus der Gasse herüber.
    Tom huschte unter einen Torbogen, als Lady die Stufen he-
    raufstürmte, den Captain im Schlepptau hinter sich herziehend.
    In der Gasse blieb sie stehen und schnüffelte, den Schwanz mit
    einem Mal ruhig.
    »Komm schon, du blödes Vieh!«
    Der Captain zerrte an ihrer Leine. Lady versuchte sich dage-
    genzustemmen, aber auf dem gefrorenen Boden fanden ihre
    Krallen keinen festen Halt. Noch während er sie durch die Gasse
    schleifte und sich ihre weißen Umrisse in der Dunkelheit all-
    mählich verloren, reckte sie die Schnauze in die Luft, aber ihre
    Schultern wirkten seltsam schlaff. Tom konnte es kaum ertra-
    gen, sie gehen zu lassen. Es war für ihn ein langer Nachhause-
    weg. Als er die Tür zu seiner Unterkunft aufschloss, wusste er,
    was er wollte. Er musste sie wiederhaben. Mit dem Geld würde
    es nichts werden; selbst wenn der Captain so viel dabeihatte,

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    würde es ihm nicht gelingen, es an sich zu bringen. Aber er
    würde alles tun, um die Hündin wiederzubekommen. Und er
    würde diesen wortbrüchigen Dreckskerl von Captain an seine
    Abmachung erinnern, er würde ihn sich schnappen, und wenn
    es das Letzte wäre, was er im Leben zustande brachte. Tom war
    vielleicht nicht gebildet, aber er war ein ausgekochter Spieler
    und wusste, dass man sich nicht nur auf sein Glück verlassen
    durfte, wenn man das Blatt zu seinen Gunsten wenden wollte.
    Der Captain würde schon noch merken, dass er nicht der Ein-
    zige war, der wusste, wie man falsch spielt.

    267

XX

    S pratt leistete ganze Arbeit. Auf einem Blatt Papier mit dem
    Briefkopf der Baubehörde nahm er sowohl dem Vorarbeiter als
    auch dem Ausspüler eine namentlich unterzeichnete Erklärung
    ab. Der Vermesser habe sich ungebührlich verhalten, versicherten
    sie, und er habe unterirdische Bauwerke beschädigt. Ein derarti-
    ges Verhalten im Tunnel, fügten sie noch hinzu, könne zu einer
    tödlichen Gefahr werden. Auf Drängen des Schreibers sahen sich
    die beiden Männer außerdem genötigt zu sagen, der Vermesser
    habe gewissermaßen den Eindruck erweckt, er sei nicht ganz bei
    Sinnen. Keiner der beiden erhob Einwände dagegen, dies als
    »nervöse Hysterie« zu bezeichnen. Um dieses Bild abzurunden,
    fügte Spratt eine lebhafte Schilderung seines eigenen Eindrucks
    von dem Vermesser hinzu, als dieser völlig verstört und ver-
    dreckt aus dem Tunnel gekommen war.
    Doch damit begnügte sich der akribische Schreiber keines-
    wegs. Nachdem die Erklärungen abgegeben waren, schlug er
    dem dankbaren Vorarbeiter vor, May seiner Obhut anzuver-
    trauen. Und um sodann einer möglichst großen Zahl von
    ebenso verlässlichen wie geschwätzigen Zeugen Gelegenheit

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