Der Vermesser
Hawkes
Warnungen keine Beachtung geschenkt hatte. Er hatte zugelas-
sen, dass seine Abneigung gegen diesen Menschen sein Urteil
trübte, und dieser sein Fehler konnte den Ausschuss teuer zu ste-
hen kommen. Von Anfang an war die Arbeit der Baubehörde
von Presse und Parlament peinlich genau verfolgt worden. Bis-
her war ihr Urteil überwiegend wohlwollend ausgefallen, und
Bazalgette und seine Mitarbeiter hatten fast einhelliges Lob ge-
erntet für ihre strikte Sparsamkeit und Besonnenheit, mit der sie
die Arbeiten vorantrieben. Aber schon der leiseste Hauch eines
Skandals konnte die öffentliche Meinung in die entgegenge-
setzte Richtung ausschlagen lassen. Feather hatte ihm erklärt,
die Einweisung in eine der überbelegten Armenanstalten würde
Wochen dauern oder, falls es unter den dortigen Insassen weni-
ger als die übliche Zahl von Sterbefällen gebe, sogar Monate.
Wer wusste schon, in welche Schwierigkeiten ein Geisteskranker
die Baubehörde stürzen würde, wenn man wochenlang warten
musste? Hawke hatte völlig Recht gehabt, dem Mann zu miss-
trauen. Diesem zitternden, stinkenden Wrack. Je schneller man
ihn in Verwahrung nahm, desto besser für sie alle. Lovick rief
einen Schreiber zu sich und trug ihm auf, Mays Ehefrau über
den derzeitigen Zustand ihres Mannes zu unterrichten und Be-
werbungsgespräche mit geeigneten Kandidaten zur Neubeset-
zung der nunmehr vakanten Stelle vorzubereiten. Wenn die Ar-
beit im jetzigen Tempo weitergeführt werden sollte, war keine
Zeit zu verlieren.
Feather fuhr mit seiner eigenen Kutsche zur Irrenanstalt, sei-
nen Gehilfen und William stand ein weniger elegantes Gefährt
zur Verfügung. Die beiden platzierten sich vis-à-vis von Wil-
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liam. An den Innenwänden ihrer Kutsche waren auf Schulter-
höhe schwere Eisenringe angebracht, und die Fenster hatte man
mit Vorhängen aus billiger schwarzer Baumwolle verhängt. Die
Sitzpolster rochen nach Schimmel und Urin. Im Dämmerlicht
waren die Gesichter der Gehilfen von streifigen Schatten überzo-
gen, aus denen ihre Augen hervorfunkelten. Sie schienen gar
nicht richtig auf der Bank zu sitzen, sondern stemmten die Füße
auf das verdreckte Stroh, mit dem der Boden bestreut war, und
ließen die Muskeln ihrer fleischigen Beine spielen, bereit, jeden
Moment aufzuspringen, um ihren Mitreisenden auf die Bank
niederzuzwingen. Von irgendwo hörte man das gedämpfte Ras-
seln von Ketten. Aber William bewegte sich nur, wenn ihn ein
besonders heftiges Rucken der Kutsche aus seinem Sitz hob. Fea-
ther hatte ihm ein Mittel verabreicht, um ihn ruhig zu stellen,
und in seiner Gier hatte William fast den Löffel vom Stiel abge-
bissen. Nun breitete sich eine Leere in seinem Kopf aus, flach
und grau wie der Winterhimmel. Es kam ihm überhaupt nicht
in den Sinn, darüber nachzugrübeln, was nun mit ihm gesche-
hen werde. Er dachte nicht daran, wie Polly es wohl aufnehmen
würde, wenn sie es erfuhr, oder wer es ihr mitteilte. Gedanken an
Di trieben nebelhaft durch die Leere, aber es waren nur fahle Ge-
dankenfetzen, fern und konturlos, eine dünne Mischung aus
Sehnsucht, Verwirrung und dem beängstigenden Gefühl, dass
allein schon dieses Nachsinnen die Reinheit des Jungen mit
Schmutz und Schande besudeln könnte. Dann lösten sich auch
diese Gedanken auf. Durch Feathers Arznei fühlte sich sein
Mund sandig und trocken an. Die Zunge lag ihm unförmig im
Mund, seine Lippen waren wie versiegelt. Er schloss die Augen.
Kaum spürte er noch, dass er atmete, während sich die Ränder
seines Ichs zusammenzogen und es schrumpfte, bis von ihm
nichts mehr übrig war als der verkrampfte Widerstand seiner ge-
fesselten Arme und der mahlende Kopfschmerz in den sanften
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Wölbungen seiner Schläfen und sich alles, was möglich war und
was je sein würde, auf den verdunkelten Raum der nach Moder
und Pisse stinkenden, dahinruckelnden Kutsche begrenzte. Ihm
gegenüber streckten die Gehilfen ein wenig die Beine aus. Der
eine zog eine Taschenflasche aus der Jacke und nahm einen kräf-
tigen Schluck, dann reichte er sie seinem Begleiter. Die beiden
sprachen kein Wort, aber gelege t
n lich warfen sie sich einen Blick
zu und lachten.
Schließlich verschwanden die rußüberzogenen Häuser Lon-
dons, und statt ihrer sah man ausgedehnte graue Felder und un-
belaubte winterliche Dornenhecken, deren schwarzes Gitter-
werk Schattenmuster auf die Fenster warf. Die Straße hier war
holpriger, und
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