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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Eine Schwindel erregende Dunkelheit
    erfasste ihn, und er kniff die Augen zu, weil er den Anblick dieses
    vor ihm kauernden Propheten nicht mehr ertrug. Denn es war
    dieses Leuchten, welches das Gesicht des Mannes von innen her
    erstrahlen ließ und mit Glückseligkeit durchströmte, was Wil-
    liam verloren hatte, was in ihm abgestorben war. Der Schmerz

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    darüber schnitt Willia
    m ins Herz, n
    u d den Kopf umklammert,
    als wollte er ihn zermalmen, vergrub er das Gesicht im Kissen.
    Die Tür fiel krachend ins Schloss, woraufhin die Gebete e
    d s
    Propheten noch lauter und drängender wurden.
    »Um Gottes willen! Du dreckiger kleiner Mistkerl, hab ich dir
    denn nicht gesagt ...? Herr im Himmel. Peake, den Eimer! So-
    fort!«
    Es waren Schritte zu hören, danach der laute Knall einer Ohr-
    feige, ein gedämpftes Knirschen und schließlich ein tiefes Auf-
    stöhnen. Dann hoben die Gebete wieder an, jetzt aber schwächer
    und atemloser.
    »Du Dreckschwein, sofort putzt du hier alles auf, was du hin-
    gemacht hast, oder ich lass es dich vom Boden auflecken, hast du
    verstanden?«
    Wieder ein Knirschen, ein Keuchen, und die Gebete ver-
    stummten. William lockerte den Griff um seinen Schädel ein
    wenig und hob den Kopf ein paar Zentimeter vom Kissen. Sofort
    stach ihm der unverwechselbare Gestank menschlicher Aus-
    scheidungen in die Nase. Ein neuer Schmerz durchzuckte ihn. Er
    glaubte sich übergeben zu müssen. Aber stattdessen biss er sich
    auf die schorfigen Lippen. Im Bett nebenan starrte ein Mann mit
    drahtigem weißem Haar reglos zur Decke, die Hände vor der
    Brust gefaltet. In einer Ecke des Zimmers summte jemand un-
    melodisch vor sich hin.
    »Ich hab gesagt, putz es auf!« Ein heftiges Aufstampfen, dann
    ein Knall. Wasser schwappte über den Boden.
    »O mein ... Gott, Mr. Vickery!« Eine andere, schrillere Stimme,
    kreischend vor Wut. »Dieser Scheißkerl hat mich gebissen!«
    Ein weiteres ersticktes Keuchen, gefolgt von einem dumpfen
    Schlag.
    »Schafft ihn hier raus!«, befahl Vickery. Seine Stimme klang
    jetzt eher müde als wütend. »Erst die Brause, dann Einzel-

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    zelle. Zwei Wochen. Wenn er Sie noch einmal beißt, vier Wo-
    chen.«
    Das Summen wurde lauter, als etwas über den zersplitterten
    Boden rumpelte. Niemand im S

    chlafsaal rührte sich. Dann
    drehte sich ein Schlüssel im Schloss, und die Tür ging auf.
    »Mein Gott, mein Gott«, murmelte der Prophet, und seine
    Stim e
    m hallte in dem leeren Korridor i
    w der. »Warum hast du
    mich verlassen?«
    »Du gottverdammtes Arschloch«, gab Vickery matt zurück.
    »Wann kapierst du endlich, dass du dein blödes Maul halten
    sollst?«
    Krachend fiel die Tür zu. Jemand fing an, leise Verwünschun-
    gen vor sich hin zu stammeln, immer wieder dieselben drei
    Worte. Andere trommelten mit den Füßen rhythmisch gegen die
    Eisenstäbe ihrer Betten. Das Gefühl der Bedrängnis, des drohen-
    den Unheils in seiner Brust war so stark, dass William am liebs-
    ten laut aufgeschrien hätte. Er riss an den Handfesseln, um sich
    zu beruhigen. Dann spürte er, dass ihn jemand auf die Schulter
    tätschelte. Er wandte den Kopf. Der Mann aus dem Nachbarbett
    beugte sich zu ihm herüber und machte ihm Zeichen, näher he-
    ranzurücken. William gehorchte, doch seine Angst wuchs. Er
    hatte ihn wegen seiner schlohweißen Haare für einen alten
    Mann gehalten, aber sein Gesicht war jünger als Williams eige-
    nes. Seine Augen flackerten nervös, und immer wieder leckte er
    sich die Lippen wie eine Eidechse.
    »Ich bete für all diese Männer hier im Haus. Da Sie jetzt hier
    sind, werde ich auch für Sie beten.« Er senkte die Stimme zu
    einem Flüstern. »Deshalb hat man mich hier untergebracht, hier
    bei Ihnen. Harrington, der Vater meines Freundes, hat darauf
    bestanden, mich hierher zu bringen, bevor ich meine Pflichten
    als Gemeindepfarrer antreten kann. Ich bete für die Verwirrten,
    auf dass ihr Leid ein wenig gemildert werde.« Er lächelte in Wil-

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    liams Richtung, aber seine Zunge huschte immer noch über die
    geschwungenen Lippen, und seine Augen wanderten unablässig
    im Raum umher. »Ich werde für Sie beten.«
    William wandte den Kopf ab, und die Schreie erstarben in sei-
    ner Brust. Die Angst ließ ein wenig nach, zurück blieb ein schwar-
    zer Schaum des Elends. Er kauerte sich zusammen, schlang die
    Arme um die Knie und schrie, man solle ihm Chloral bringen.
    Immer und immer wieder schrie er, mit einer Stimme, so stumpf
    und rhythmisch wie die

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