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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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zogen an seinen Beinen, aber er
    schien es nicht zu merken. Unverwandt hielt er den Blick auf den
    Türschlitz gerichtet, und in seinem angespannten Gesicht tra-
    ten die Knochen markant hervor. Er faltete die hohlen Hände.
    Seine Löwenaugen schimmerten golden. Mit seinem verdreckten
    Nachthemd, dem in Büscheln abstehenden Haar und dem zer-
    zausten Bart erschien er Rose wie ein Asket, ein Prophet aus dem
    Alten Testament, der im Namen eines launischen und rachedurs-
    tigen Gottes unerträgliches Leid erdulden musste. Nicht mehr
    wie ein Löwe, sondern wie Daniel, der all seinen Mut und Glau-
    ben zusammennahm, um sich in die Löwengrube zu wagen.
    »Ich habe ihn nicht umgebracht, Mr. Rose.«
    Rose blinzelte traurig und zwang sich, dem Blick des Häftlings
    standzuhalten. »Wir werden tun, was in unserer Macht steht«,
    sagte er erneut. »Mehr kann ich nicht versprechen. Gute Nacht,
    Mr. May.«
    Energisch schellte er mit der Glocke, um einen Wärter zu ru-
    fen. William beobachtete, wie die Augen hinter der Tür ver-
    schwanden. Durch den schmalen Schlitz sah er nur noch die
    roten Hände des Anwalts, die ungeschickt über die Hosenbeine
    und den Sa m
    u seiner Jacke strichen. Der Stoff war schmutzig,
    bedeckt mit Staub und Stroh.
    »Noch ein Letztes«, sagte William beinahe flüsternd durch
    den Schlitz. »Bitte übermitteln Sie meiner Frau eine Nachricht.

    322
    Sagen Sie ihr, es täte mir leid wegen all der Sorgen, die ich ihr ge-
    macht habe. Sagen Sie ihr, dass h
    ic sie liebe und sie immer lieben
    werde.«
    Die Hände hielten inne. Erst nach einer Weile suchten sie
    einander und verschränkten sich fest. »Ja, natürlich«, murmelte
    Rose. »Natürlich.«
    »Sagen Sie ihr, dass ich Pläne für ihren Garten ache.
    m
    Er wird
    wunderschön werden. Sagen Sie ihr ...«
    Williams Worte wurden von schweren Tritten übertönt. Rose
    sprach murmelnd mit dem Wärter, bevor er dem Gefangenen
    erneut eine gute Nacht wünschte. Flehentlich bat William den
    Anwalt, sich zu dem Schlitz hinunterzubeugen. Zögernd kam
    Rose dem Wunsch nach und vernahm Williams geflüsterte Wor-
    te. Verwirrt und unsicher, ob er richtig verstanden habe, bat
    Rose ihn, es noch einmal zu wiederholen, aber William bewegte
    nur lautlos die Lippen. Die Erschöpfung hatte ihm alle Kraft ge-
    raubt. Er schloss die Augen und ließ sich gegen die eiserne Zel-
    lentür fallen, während Rose hinausbegleitet wurde. Wir werden
    tun, was in unserer Macht steht. Wir werden tun, was in unserer
    Macht steht. William hatte geglaubt, ein wenig Trost aus diesen
    Worten zu schöpfen, aber sie wiederholten sich nur endlos in
    seinem Schädel, bis ihre Ecken und Kanten abgeschliffen und ihr
    Sinn verloren war. Als er schließlich zusammengerollt wie ein
    Embryo einschlief, träumte er von rot unterlaufenen, hervor-
    tretenden Augen, eingerahmt von rostigem Metall, und als er in
    den dunklen, kalten Stunden vor der Morgendämmerung er-
    wachte, erfüllte ihn eine schreckliche Gewissheit, dass der An-
    walt, sosehr er sich bemüht hatte, nicht ein Wort von Williams
    Geschichte glaubte.

    323

XXVI

    D ie Staatsanwaltschaft übermittelte Roses Anwaltskanzlei die
    Nachricht am folgenden Morgen. Tags zuvor hatten die Ermitt-
    lungsbeamten Mays Arbeitsplatz in der Greek Street durchsucht
    und unter einer losen Fußbodendiele unter seinem Schreibtisch
    ein Bajonett entdeckt, wie es die einfachen Soldaten im Krim-
    krieg benutzt hatten. Die Ermittler gingen davon aus, dass Eng-
    land mit dieser Waffe getötet worden war. An der Schneide klebte
    getrocknetes Blut, und auf der Unterseite klebten zwei schwarze
    Barthaare, die genauso lang und von derselben Farbe waren
    wie die des Toten. Mit dieser Entdeckung war für die Anklage
    der Fall abgeschlossen. In Anbetracht des abscheulichen Verbre-
    chens und der Gefahren, die damit verbunden waren, einen
    Geistesgestörten länger als notwendig auf einem Gefängnisschiff
    festzuhalten, drängte die Staatsanwaltschaft auf eine rasche Ver-
    urteilung. Daher hatte der Richter die Genehmigung erteilt, die
    Verhandlung auf den ersten Tag der neuen Sitzungsperiode zu
    legen. Mays Prozess würde also am Montag beginnen, in sechs
    Tagen. Bis dahin hatte Rose Zeit, die Verteidigung des Gefange-
    nen vorzubereiten.
    Selbstverständlich würde er dagegen Einspruch erheben. Sie
    konnten nicht derart willkürlich die Verhandlung vorverlegen.
    Doch das war es nicht, was Rose beunruhigte, als er den Wasser-
    kessel für den Tee aufsetzte. Er

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