Der Vermesser
sehen, liefen hin und her und
balancierten mühsam Kisten und Kästen vor der schmalen Brust.
Auf dem Gehsteig war bereits ein ganzer Berg von Habseligkei-
ten aufgetürmt. Auf einem Bugholzstuhl lagen ein abgeschlage-
ner Waschkrug aus Porzellan ohne die zugehörige Schüssel und
ein Ziertuch mit dem aufgestickten Spruch Trautes Heim Glück
allein. Rose blieb stehen und befühlte vorsichtig die Seidensti-
ckerei.
»Was zum Teufel tun Sie da?«
Rose sah schuldbewusst hoch. In der Tür stand eine Frau. Ihr
ungekämmtes kastanienbraunes Haar umrahmte strähnig das
Gesicht, und ihre karamellfarbenen Augen waren bläulich um-
schattet. Vor das unförmige Kleid hatte sie sich eine Schürze ge-
bunden. Ein kleiner Junge hinter ihr versteckte sich in ihrem
Rock; seine kleinen Hände kneteten den gemusterten Baum-
wollstoff.
»Mrs. May?«
Die Frau kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Wer sind
Sie?«
»Rose. Sydney Rose. Ich vertrete Ihren Mann.«
Die Frau runzelte die Stirn, legte e ne
i
Hand auf den Blond-
schopf und zog ihn näher zu sich heran.
»Ich bin sein Anwalt«, fügte Rose hinzu. »Ich war gestern
bei ihm. Er hat mich gebeten, Ihnen eine Nachricht zu über-
bringen.«
Rose kramte in seiner Tasche. Die Frau presste die Lippen zu-
sammen, als hätte man sie mit einer Schnur zusammengezogen.
»Eine Nachricht, so. Geld brauchten wir dringender. Das hat er
wohl nicht geschickt, oder?«
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»Leider nicht.«
»Dann gehen Sie«, sagte die Frau schroff, ohne sich auch nur
einen Schritt zu bewegen, aber Rose spürte, dass sie zitterte.
»Wie la te
u tdie Nachricht?«
»Darf ich reinkommen?«
»Das ist wohl kaum nötig, den Großteil unserer Einrichtung
haben wir ja hier draußen«, sagte sie, aber ihre Stimme hatte jetzt
nichts Schneidendes mehr. Sie trat zur Seite und wies ihm den
Weg in ein kleines Wohnzimmer. Es gab keine Möbel. Der Boden
war sauber gewischt, aber an den Wänden hatten Kerzen rußige
Spuren hinterlassen. Rose stand verlegen in der Mitte des Zim-
mers, die roten Hände auf dem Rücken verschränkt. Der Junge
war ihnen gefolgt. Er ließ zwar den Rockzipfel seiner Mutter
nicht los, versteckte aber das Gesicht nicht mehr. Den Kopf hoch
erhoben, stand er vor seiner Mutter, als wollte er sie vor Roses
Worten schützen, wie immer sie lauten mochten, und starrte ihn
an, ohne zu blinzeln. Er hat die auseinander stehenden karamell-
braunen Augen seiner Mutter, dachte Rose. Sie muss eine hüb-
sche Frau gewesen sein, bevor die Umstände sie hatten altern las-
sen und sie alle Hoffnung verlor. Rose räusperte sich. Die Frau
hatte erwartungsvoll den Blick auf ihre gefalteten Hände gesenkt
und biss sich auf die Unterlippe.
»Ihr Mann hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass er Sie
liebt«, stieß er ohne Umschweife hervor. »Und er bedauert, Ih-
nen solche Sorgen gemacht zu haben.«
»Das ist alles , oder?« Die r
F au h e
i lt im e
m r noch den Blick ge-
senkt.
»Nicht ganz. Er sagte, er plane einen wunderschönen Garten
für Sie. Mit Kreuzblumen, glaube ich, und Bartnelken, aber viel-
leicht habe ich mich da verhört.« Rose verzog entschuldigend
das Gesicht. »Von Blumen und Pflanzen habe ich leider keine
Ahnung.«
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Die Frau stand einen Augenblick so reglos da, dass Rose be-
fürchtete, sie hätte das Bewusstsein verloren. Dann schlug sie
die Hände vor das Gesicht, und ihre Schultern zuckten. Rose trat
einen Schritt auf sie zu und fasste sie behutsam am Ellbogen.
»Mrs. May, es tut mir so furchtbar leid ...«
Er wartete, dass sie sich beruhigte und den Kopf hob, aber sie
hielt nur stumm die Hände vor das Gesicht gepresst. Der Kleine
sah aufmerksam zu ihr hoch n
u d strich ihr durch den abgetra-
genen Rockstoff übers Bein.
»Mrs. May, vielleicht sollten Sie sich setzen.« Rose sah sich
nach einem Stuhl um. »Vielleicht auf die Treppe?«
Behutsam führte er sie aus dem Zimmer in den schmalen Flur.
Aus dem hinteren Raum war ein dünner, hoher Schrei wie das
Wimmern eines Kätzchens zu hören. Der Junge wandte besorgt
den Kopf, aber seine Mutter zeigte keine Reaktion. Lange saß sie
auf der Treppe, ohne ein Wort zu sagen. Der Junge legte den Kopf
in ihren Schoß. Nachdem sie sich schließlich die Augen an* der
Schürze getrocknet hatte, schickte sie das Kind in die Küche.
»Sie werden ihn hängen, nicht wahr?«, fragte sie leise, aber
beinahe gefasst.
»Ich glaube, ja.« Rose zögerte und wand seine Finger
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