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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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zu
    ziehen, dass die Geschworenen gezwungen waren, May freizu-
    sprechen. Dann wäre er, Rose, derjenige, der den Geisteskranken
    freibekommen hatte. Dann würde man ihn ernst nehmen, selbst
    sein Vater und dessen Jagdgenossen, die von Tätigkeiten in der
    Stadt wenig hielten, außer dass sie vielleicht eine probate Ein-
    nahmequelle abgaben, in Zeiten, da es finanziell ein wenig eng
    wurde. Wenn Rose einen Freispruch erwirkte, würden sie Notiz
    von ihm nehmen. Sie würden mit ihren roten Fingern auf seinen
    Namen in ihren Journalen deuten. Dann hätte er es geschafft. Da
    geht er, würden sie sagen, wenn er auf dem Weg zum Old Bailey
    in einem neuen Anzug durch den Temple-Bezirk schritt. Da geht
    der berühmte Anwalt, der einen aussichtslosen Fall erfolgreich
    verteidigt hat. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben, würden
    sie sagen. Wenn eins sicher ist, dann dies: Sydney Rose, Anwalt
    der Krone, ist der geborene Jurist.
    William hustete, ein Krampf, der ihn schüttelte und die Ket-
    ten an seinen Füßen scheppern ließ. Das Geräusch riss Rose aus
    seinen Träumereien. Stolz ist eine Sünde, wies er sich scharf
    zurecht und errötete im Bewusstsein seiner Lächerlichkeit. Er
    hörte aufmerksam zu, was May ihm sagte, und machte sich aus-
    führliche Notizen. Aber immer noch erfüllte ihn prickelnde Er-
    wartung und jagte ihm einen freudigen Schauder über den Rü-

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    cken. Hab keine Angst davor, sagte er sich, diesmal gnädiger sich
    selbst gegenüber. Wenn du aufgibst, lieferst du wissentlich einen
    Mann an den Galgen – einen Mann mit Frau und zwei Kindern,
    der womöglich unschuldig ist. Hab keine Angst vor der Hoff-
    nung.

    343

XXVIII

    D ie Antwort sei nein, sagte der Vorarbeiter und zuckte mit den
    massigen Schultern. Er könne seinen Arbeitsplatz nicht aufs
    Spiel setzen, so wahr er hier stehe. Seit sich herumgesprochen
    habe, dass man die Leiche des Ziegeleibesitzers aus den Tunneln
    herausgezogen habe, gebe es jede Menge Leute, die sich dort
    unten umsehen wollten, vorwiegend Zeitungsfritzen natürlich,
    denen die Nase juckte wie Spürhunden. Und dann noch diese
    Schnüffler, die stets zur Stelle seien, wenn etwas ganz besonders
    Schauerliches geschehen war. Rose sei nicht der Erste, der um
    eine Führung bitte, bei weitem nicht. Man habe mit allen Tricks
    versucht, ihn und seinen Trupp herumzukriegen, und ihnen
    Geld angeboten, ziemlich viel sogar. Aber sie ließen sich auf
    nichts ein. Sie stünden jetzt im Dienst des Amts für öffentliche
    Bauvorhaben und seien niemand Geringerem als dem Parla-
    ment Rechenschaft schuldig, und die Vorschriften des Bauamts
    seien klar und deutlich: Ohne ausdrückliches Einverständnis der
    Behörde dürfe niemand in den Untergrund. Wenn Rose von
    Mr. Grant oder Mr. Lovick eine schriftliche Erlaubnis hätte, läge
    die Sache natürlich anders. Dann würde der Vorarbeiter ihn
    gern durch das Kanalnetz in seiner ganzen Länge und Breite füh-
    ren. Aber ansonsten bedaure er sehr. Vorschrift sei Vorschrift.
    »Aber verstehen Sie denn nicht, ich muss heute, allerspätestens
    morgen runter«, beharrte Rose und wühlte unbeholfen in seinen
    Taschen nach Münzen. »Ein Menschenleben hängt davon ab.«
    Der Vorarbeiter runzelte die Stirn. Wieso und weshalb Rose in
    die Abwasserkanäle wolle, interessiere ihn nicht, gab er scharf

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    zurück. Er habe es ihm schon einmal gesagt und wiederhole es
    gern: Ohne offizielle Erlaubnis könne niemand die Tunnel be-
    treten. Für ihn sei die Sache damit erledigt. Und jetzt müsse er
    wieder an die Arbeit. Damit griff er nach einer a
    L terne und
    machte sich an der Blende zu schaffen.
    »Werden Sie hingehen?«, fragte Rose unvermittelt. »Um zuzu-
    schauen, meine ich. Wenn er gehängt wird.«
    Der Vorarbeiter verzog verlegen das Gesicht. »Weiß nicht.
    Vielleicht. Hab noch nicht drüber nachgedacht.«
    »Aber Sie kannten ihn?«
    »Klar«, erwiderte der Vorarbeiter.
    »Und was hatten Sie für ei
    i
    nen E ndruck von ihm?«
    Der Vorarbeiter zuckte die Achseln. »Weiß nicht. War von
    der schweigsamen Sorte. Höflich.« Er schüttelte nachdenklich
    den Kopf. »Blieb immer für sich. Hat sich in den Tunneln wohl
    gefühlt wie ̕ne Ratte. Manchmal war̕s ̕n richtiger Kampf, ihn
    wieder rauszukriegen, so hat er sich da eingenistet. Hätt nie ge-
    glaubt, dass er zu so was fähig ist, wenn ich̕s nicht mit eigenen
    Augen gesehn hätt, wie er da völlig aus dem Häuschen war und
    um sich geschlagen hat wie ...« Er sah Rose an,

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