Der Vermesser
er-
schien ihm sehr tüchtig. Aber nachdem er gegangen war, fühlte
sich William wie ausgepumpt. Hundeelend. Und voller Angst.
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Er hatte noch nie Angst gehabt. Die Irrenanstalt, das Gefängnis,
selbst der Galgen schreckten ihn nicht. Seine Furcht galt allein
ihm selbst und dem, wozu er fähig war. Er hatte geglaubt, er sei
verrückt. Er hatte gewusst, dass er verrückt war. In ihm hauste
ein Dämon, der sich in die dunkelsten Winkel seines Herzens
verkrochen, sein Blut vergiftet, ihm Augen und Ohren versiegelt
und ihm die Hände geraubt hatte, um in seinem, Williams, Na-
men Verbrechen unerträglichen Grauens zu verüben. Er hatte
die Gewissheit in den Augen anderer gesehen – der Polizeibeam-
ten und Ärzte und auch des Anwalts hinter seiner eisernen
Maske. Sie alle starrten ihn an, und Abscheu, moralische Entrüs-
tung und Faszination standen ihnen ins Gesicht geschrieben
und ließen ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Keiner
von ihnen hegte Zweifel daran, dass er Alfred England ermordet
hatte.
Angekettet in seiner Zelle, schrie sein ganzer Körper nach
Chloral. William hatte sich verzweifelt bemüht, die schwanken-
den und schwitzenden Ruinen seiner Gedanken zu glätten, aber
sie entglitten ihm und zerbröselten ihm zwischen den Fingern.
Die Erinnerungen würden zurückkehren, sagte er sich immer
wieder und beschwor sich, daran zu glauben. Wenn er einen
Menschen getötet hätte, würde er sich doch daran erinnern. In
Inkerman hatte er einen Mann, sogar zwei Männer umgebracht.
Die Russen hatten sich im dichten Nebel an sein Zelt herange-
schlichen und ihre Bajonette durch die Zeltwand gestoßen. Der
Ingenieur neben ihm war mit einer Klinge im Hals aufgewacht.
Schlaftrunken war William in der Unterwäsche hinausgetorkelt
und hatte einem russischen Soldaten, der am Boden kauerte, um
seine Muskete zu laden, das Bajonett zwischen die Schulterblät-
ter gestoßen. Später, viel später hatte er noch einen Mann getö-
tet, aber da hatte das blutige Gemetzel des Kriegs bereits alles bis
zur Unkenntlichkeit verzerrt, so dass das Töten fast schon alltäg-
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lich erschien. Beim ersten Mal war es anders gewesen. William
erinnerte sich noch genau an jede Einzelheit. An den Ruck in
seinen Schultern, als er das Bajonett hob, den dumpfen Schlag,
als er es dem Mann durch den grauen Soldatenmantel stieß, den
zuckenden Rücken des Mannes, das Gurgeln in seinem Hals, die
Kraft, die es kostete, die Klinge wieder herauszuziehen, und das
Blut, das wie eine Blume auf dem groben Stoff erblühte, wäh-
rend der Russe in den Schlamm sank, das schmale, gewöhnliche
Gesicht vor Erstaunen verzerrt, die schrundigen Lippen geöff-
net. Er sah nicht anders aus als Tausende britische Soldaten.
William hatte sich übergeben müssen, voller Hast, während er
sich bückte, um die Klinge seines Bajonetts an einem Grasbü-
schel abzuwischen. Um ihn herum Schreie und Flüche – Geräu-
sche, die durch den Nebel zu ihm drangen. Blindwütig hatte
William dem Mann sein Bajonett immer und immer wieder in
die Brust gestoßen. Blut rann zwischen seinen Fingern. Als er
jetzt daran dachte, drehte sich ihm der Magen um, und er grub
die Fingernägel tief in die Handteller, um die Bilder aus seinem
Kopf zu verbannen. Er konnte England nicht getötet haben, be-
sc
o
hw r e
r sich immer und immer wieder. Er würde sich daran
erinnern.
An dem Tag, als der Anwalt kam, lagen seine Gedanken zum
ersten Mal klar und deutlich vor ihm, ohne dass sie ihm zwi-
schen den Fingern zerrannen. Zart wie sie waren, behielten sie
dennoch ihre Form und trugen die zaghaften Konturen von
einer Art Gewissheit. In der Irrenanstalt hatte das Chloral seine
Sinne gedämpft, seine Gedanken und seinen Appetit unter-
drückt. Jetzt krampfte sich ihm vor Hunger der Magen zusam-
men, doch dadurch erwachte sein betäubtes Gehirn und ließ
Licht herein. Und damit auch die Angst. Zum ersten Mal, seit
man ihn auf das Schiff gebracht hatte, wusste er, dass er nicht
sterben wollte. Er sehnte sich danach, sich frei und ungehindert
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zu bewegen, saubere Luft zu atmen und sich den verkrusteten
Dreck vom Gesicht zu waschen. Er dachte an Polly und seinen
kleinen Sohn, und in seiner Sehnsucht verdrehte er die Ketten an
Händen und Füßen, so dass ihm die Fesseln mit ihren harten
Kanten an den Schienbeinen und Handgelenken in die Haut
schnitten. Das Metall war zwar zu stumpf, um blutige Wunden
hervorzurufen,
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