Der Vermesser
Einzelheit.«
Wieder schlug William die Hände vors Gesicht. Seine rissigen
Lippen berührten die Handflächen, und er spürte seinen heißen
Atem zwischen den Fingern. Das in seiner Brust rauschende Blut
kühlte sich ab und floss wieder in ruhigen Bahnen. Er brauchte
keine Angst zu haben. Die Narbenwülste auf seinen Unterarmen
brannten. Es galt, die Fassung zurückzugewinnen. Er biss sich
auf die Lippen, drückte die scharfen Kanten seiner Schneide-
zähne mit solcher Gewalt in das spröde Fleisch, dass es blutete.
Er leckte die Lippen ab und kostete den vertrauten metallischen
Geschmack auf der Zungenspitze. Auch seine Zunge würde blu-
ten, wenn er nur fest genug daraufbiss. Das war nicht notwen-
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dig, noch nicht. Aber der Gedanke beruhigte ihn. Das Dröhnen
in seinen Ohren verklang. Behutsam nahm er die Strohhalme,
die er auf den Boden gelegt hatte, und während er sie in Stücke
riss, als könnte er ihnen damit ihr Geheimnis entlocken, zwang
er sich, sich zu erinnern.
Als er mit seinem Bericht fertig war, blickte er hoch. Die Augen
hinter der Eisenklappe wandten sich ab.
»Das reicht nicht, oder.«
Auch das war keine Frage.
»Mit einer Verteidigung vor Gericht verhält es sich genauso
wie mit Ihren Abwasserkanälen«, sagte Rose leise. »Gut konstru-
iert, kann sie jedem Angriff widerstehen, wie unangenehm er
auch immer ist. Wenn aber ein Backstein verwittert, nicht stark
genug gebrannt oder falsch eingepasst ist, besteht die Gefahr,
dass alles in sich z
r
usammenstü zt. Und enn
w
Sie nicht genügend
Backsteine haben ...«
Backsteine. Das Schaben von Backstein auf Backstein. Es hatte
etwas zu bedeuten, dieses Geräusch. Es hatte eine Gestalt und
war ihm so vertraut wie das Klirren von Metall und das Geräusch
tropfenden Wassers in seiner Kindheit, das den Waschtag ankün-
digte. Noch lange nachdem seine Mutter gestorben war, dachte
er, sobald er das Geräusch einer Mangel hörte, es wäre Montag.
Genauso weckte dieses Geräusch bestimmte Gerüche und Ge-
fühle in ihm. William schloss die Augen. Das Schaben von Back-
stein auf Backstein. Das Gewicht des Messers in seiner Hand.
Der Geschmack von Blut in seinem Mund. Ein kalter, feuchter
Geruch in seiner Nase. Dunkelheit. Ein Zustechen. Ein weißes
Gesicht, Augen wie dunkle Höhlen. Nein, nein, nicht das. Die
Tunnel. Die Dunkelheit in den Tunneln. Das herrliche Pochen
des schmerzenden Arms. Scharfe Umrisse, fest und kühl die
Hände, das Gesicht und das Herz, absolute Gegenwart. Klar-
heit. Frieden. William stieß einen Schrei aus, keuchend vor
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plötzlichem brennendem Verlangen. Verzweifelt versuchte er,
diese Gefühle zu umklammern und festzuhalten, aber sie waren
bereits verschwunden, Schatten, die sich im Licht auflösten. Er
tastete mit den Zähnen die wunden St
ellen auf seinen Lippen ab
und schmeckte das warme Blut.
»Mr. May?«, fragte Rose besorgt durch den Schlitz. »Fühlen
Sie sich nicht gut? Möchten Sie einen Schluck Wasser?«
William schlug die Augen auf. »Er hat etwas versteckt«, sagte
er. »Er hat etwas versteckt.«
»Wer? Hawke?«
»Ja. Er hat etwas versteckt. In der Mauer.«
»Tatsächlich? Und was?«
»Ich weiß nicht. Aber ich weiß, dass er es getan hat. Ich ...
ich habe auch immer Dinge versteckt. Die Backsteine waren
morsch. Man konnte sie leicht herausziehen. Dort unten konnte
man etwas verstecken und sicher sein, dass niemand es je finden
würde.«
»Dann meinen Sie also ...«
»Er hat dort unten etwas versteckt. Etwas Wichtiges vielleicht.
Etwas, das niemand entdecken sollte.«
»Die Waffe?«
»Vielleicht.«
»Dokumente?«
»Ich weiß nicht.«
»Aber irgendetwas?«
»Ja, irgendetwas.«
»Und Sie sind sicher?«
»Ganz sicher.«
Rose hatte das Gesicht so fest an die Eisentür gepresst, dass
ihm die Nase wehtat.
»Und Sie können mir sagen, wo?«
William nickte. »Die Vorarbeiter, sie kennen die Tunnel . ..«
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»Und die würden mich hinführen?«
»Vielleicht. Wenn Sie dafür bezahlen.«
»Bezahlen. Ja.«
Es war nur ein Hoffnungsschimmer. Aber der Prozess war für
folgenden Montag angesetzt, und er hatte nur noch ein paar
Tage Zeit. Und mit dem Wenigen, was er hatte, konnte er Hawke
nicht entgegentreten. Aber wenn da unten tatsächlich etwas war,
würde das alles ändern. Es reichte vielleicht nicht aus, Hawke des
Mordes zu beschuldigen, aber darauf kam es gar nicht an. Es
ging darum, die Beweismittel der Anklage so sehr in Zweifel
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