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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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anzusteuern. Es war
    schwierig, dorthin zu kommen, weil es in der Nähe keinen Ein-
    stieg gab und man sich stattdessen unterirdisch voranarbeiten
    musste, aber Brasseys Auftrag war ja auch kein gewöhnlicher. In
    Newgate gab es genügend Ratten, auch in der gewünschten
    Größe. Direkt unter dem Fleischmarkt war das Abwasser sämig
    von Blut, Mist und Schlachtabfällen. Diese reichhaltige Nahrung
    hatte die Ratten von Newgate fett und übellaunig gemacht wie
    Kirchendiener. Auf der einen Tunnelseite hatten sie es geschafft,
    sich eine Höhle zu graben, die groß wie ein Zimmer und mehr
    als zwei Meter hoch war; hier zogen sie ihre Brut auf. Es mussten
    mehr als achthundert Stück sein, schätzte Tom, die dort wie ein
    lebendiger Berg aus Asche übereinander krochen und krabbel-
    ten. In Newgate hatte noch nie jemand einen dieser Lackaffen
    aus dem Parlament gesehen.
    Sie waren fast am Ziel. Es stank bestialisch nach verwesendem
    Fleisch, und auf dem Wasser kräuselte sich ein schmieriger brau-
    ner Schaum. An der Stelle, wo sich der Tunnel Richtung Norden
    wandte, setzte Joe die Käfige ab. Tom nahm die Laterne von der
    Hacke. Er lehnte den Stiel gegen die Wand und befestigte die La-
    terne an einer Schlaufe vorn an seiner Segeltuchschürze. So hatte
    er beide Hände frei und konnte gut sehen. Dann streifte er sich
    die Stulpenhandschuhe über. Sie waren vor Alter und Dreck
    ganz steif und bildeten bis ins Detail die Form seiner Hände ab,
    so dass selbst die geschwollenen Knöchel zu erkennen waren. Er
    zog sie noch einmal straff, griff nach dem Knüppel und nickte
    Joe zu. Die Arbeit konnte beginnen.

    38

III

    D ie Büroräume von Joseph Bazalgette, dem leitenden Ingenieur
    des Londoner Amtes für öffentliche Bauvorhaben, und seiner
    Mannschaft von Ingenieuren, Vermessern und Zeichnern lagen
    in der Greek Street Nummer 1 in Soho. Von diesen bescheidenen
    Räumlichkeiten aus plante Bazalgette das vielleicht ambitionier-
    teste Bauvorhaben im Bereich des zivilen Ingenieurwesens, das
    je in Angriff genommen wurde – die Konstruktion eines völlig
    neuen unterirdischen Abwassernetzes für die gesamte Stadt. Über
    die Dringlichkeit eines solchen Unternehmens herrschte absolute
    Einigkeit. Zwar waren auch schon frühere Stadtverwaltungen da-
    rangegangen, das Kanalnetz zu verbessern, aber das hatte immer
    wieder zu neuen Problemen geführt. Zu Beginn des Jahrhunderts
    hatte sich jedes Haus seiner Exkremente mittels einer Senkgrube
    im Keller entledigt, die regelmäßig von Grubenräumern entleert
    wurden. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung in der Hauptstadt
    erwies sich dieses Verfahren jedoch als zunehmend unpraktisch
    und unhygienisch. Schließlich wurden sämtliche Senkgruben an
    einen Kanal angeschlossen, der das Abwasser sammelte und über
    einen Hauptstrang direkt in den Fluss leitete. In den nunmehr
    maroden und unterdimensionierten Kanälen vermischten sich
    menschliche Ausscheidungen mit den Abfällen der Schlachthäu-
    ser und Abdeckereien sowie den Abwässern von Gerbereien und
    Fabriken. All das strömte unablässig in die Themse. Bald wurde
    der Fluss selbst zur größten Senkgrube der Stadt. Bei Ebbe ver-
    fingen sich die Fäkalien und Abfalle an Brückenpfeilern oder
    sammelten sich zu stinkenden, gärenden Morasthaufen.

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    London, die größte Metropole der Welt, vergiftete sich selbst,
    so lautete Mitte des Jahrhunderts die einhellige Meinung von
    Ärzten und Wissenschaftlern. Wenn die Abwässer in den Kanä-
    len zusammenflössen, die in der Mehrzahl nichts anderes waren
    als offene Gräben, strömten sie hochgiftige Gase aus. Diese ent-
    wichen in die Atmosphäre, und mittels schlechter Luft und un-
    sauberen Wassers gelangten die Gifte in Lungen und Mägen, wo
    sie vom Blut aufgenommen wurden und todbringende Krank-
    heiten hervorriefen. Innerhalb von zehn Jahren war London von
    drei grausamen Choleraepidemien heimgesucht worden. Jedes
    Mal wütete die Seuche am schlimmsten in jenen Teilen der Stadt,
    wo Luft und Wasser besonders verpestet waren. Niemand zwei-
    felte daran, dass etwas unternommen werden musste.
    Entschieden weniger leicht war es, eine Lösung für dieses Pro-
    blem zu finden. Bazalgettes Plan lief auf ein komplett neues Ka-
    nalnetz hinaus, mit dem die riesige, verunreinigte Fracht aus
    Senkgruben und Kloaken zu Austrittsöffnungen flussabwärts
    weit außerhalb der Stadt befördert werden sollte. Diesem Plan
    zufolge würden an die zweihundertvierzig Kilometer neuer

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