Der Vermesser
Wirt gab sich einen Ruck. »Ein
Penny pro Stück, auch wenn das Halsabschneiderei ist. Ihr müsst
allerdings später noch mal kommen, im Moment hab ich nicht
so viel.«
Tom blieb im Flur stehen, die Augen zusammengekniffen.
»Heute Abend hab ich̕s«, versprach Brassey. »Kommt nach
neun noch mal. Und wenn ihr schlau genug seid und euch ̕ne
goldene Nase verdienen wollt, nehmt ihr das Geld zum Wetten.«
Tom dachte einen Augenblick nach, dann nickte er. »Also bis
heute Abend.«
»Los, mach schon. Stell sie ab«, drängte Brassey.
Joe grinste, machte aber keine Anstalten, die Käfige abzuset-
zen. Auf seinen Schultern ruckten sie ein wenig hin und her,
weil die Ratten, sich gegenseitig drängelnd, nach Gleichgewicht
suchten.
»Heute Abend. Erst das Geld, dann die Ware«, sagte Tom ee-
s
lenruhig und stieß die Tür auf.
Brassey zögerte. Von oben hörte man ein scharrendes Ge-
räusch. Sein Gehilfe schleifte im ehemaligen Salon Stühle über
den Fußboden. Der Wirt verfügte zwar über ausreichend Tische
und Bänke für seine Gäste, aber am Morgen hatte er seinen Ge-
hilfen angewiesen, um eine Nische in der Wand eine niedrige
Holzbalustrade aufzubauen. Brassey wollte nämlich dem Cap-
tain und seinen Begleitern alle Annehmlichkeiten einer Privat-
loge bieten. Der Captain war ein Gentleman von beträchtlicher
Kultiviertheit. Bei seinem letzten Besuch hatte er hundert Gui-
neen für einen Hund ausgelobt, der es schaffte, in einer Minute
zwanzig Ratten zu töten. Man konnte allerdings nicht sagen, ob
er sich im trüben, kalten Morgenlicht des folgenden Tages noch
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an dieses großzügige Angebot erinnerte. Brassey leckte sich die
Lippen. Über seinen gewölbten Bauch hinweg sah er gerade noch
die Spitzen seiner blank polierten Schuhe. Draußen in der Gasse
war es matschiger als sonst. Er reckte sich, quetschte sich mit
dem Oberkörper durch die Tür und rief die Männer zurück.
Ohne die schweren Käfige gelangten Tom und Joe zügig durch
Soho und in ihre Wohngegend zurück. Die neu gewonnene Last
in ihren Taschen war jedoch nach ein paar fröhlich durchzech-
ten Stunden in einer Schenke hinter der Strand schon ein wenig
leichter geworden. Es war fast neun Uhr, als Tom in den dunklen
Hof trat, den Bauch voll mit Bier und Roastbeef. Aus einem Kel-
lerfenster drang das klagende Quietschen einer Fiedel. Tom hatte
eine Unterkunft für sich allein, verfügte also über den Luxus
eines eigenen Zimmers, doch es drängte ihn nicht dorthin zu-
rück. Eine Frau hatte er sich nie gesucht, warum, wusste er auch
nicht genau, außer dass er schon immer gern mit sich allein ge-
wesen war. Zwar hatte ihm das Leben im Laufe der Jahre das eine
oder andere Mädchen zugespielt, doch früher oder später hatte
eine stärkere Strömung sie alle wieder mit sich fortgerissen. An-
fangs, als er nach London gekommen war, hätte er wohl so man-
che Chance gehabt, aber irgendwie hatte er sie immer zu spät
erkannt und nicht rechtzeitig zugegriffen. Im Umgang mit an-
deren war er unbeholfen und nervös und brachte keinen Ton
heraus, und das leichtfertige Geplänkel, das den Mädchen die
Wangen erhitzte und sie die Röcke heben ließ, brachte ihn derart
aus der Fassung, dass ihm die Röte ins Gesicht schoss. Die ande-
ren Burschen hielten ihn für einen Weichling. Die meisten von
ihnen lebten mit einem Mädchen zusammen, seitdem sie zwölf
oder dreizehn waren. In dem Haus im Flower Court, wo Tom ge-
wohnt hatte, als er noch mit dem Alten zusammenarbeitete, teil-
ten sich nachts an die neun Paare das Zimmer, und er hatte als
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Einziger allein in einem Bett geschlafen. Es war schrecklich für
ihn gewesen, aber wo hätte er sonst hingehen sollen? Tom bekam
nicht mal eine ab, wenn die anderen ihrer Mädchen überdrüssig
wurden und sie untereinander tauschten, nicht selten mehrmals
bis zum Morgengrauen. Und so lag er im Dunkeln, lauschte dem
Rascheln und Kichern und versuchte, auf seiner feuchten Stroh-
matratze eine Stelle zu finden, wo es nicht juckte und biss. Am
Morgen zog er dann den Kopf ein, um den neugierigen Blicken
der Mädchen auszuweichen.
»Du musst ihnen eine Tracht Prügel verabreichen«, hatte ihm
einer der Burschen geraten. »Sie wollen̕s nicht anders. Die Wei-
ber verknallen sich erst dann in dich, wenn du sie verdroschen
hast, und solange die blauen Flecken ordentlich wehtun, denken
sie an den Kerl, der sie ihnen verpasst hat.«
Tom hatte den Rat jedoch
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