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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Wirt gab sich einen Ruck. »Ein
    Penny pro Stück, auch wenn das Halsabschneiderei ist. Ihr müsst
    allerdings später noch mal kommen, im Moment hab ich nicht
    so viel.«
    Tom blieb im Flur stehen, die Augen zusammengekniffen.
    »Heute Abend hab ich̕s«, versprach Brassey. »Kommt nach
    neun noch mal. Und wenn ihr schlau genug seid und euch ̕ne
    goldene Nase verdienen wollt, nehmt ihr das Geld zum Wetten.«
    Tom dachte einen Augenblick nach, dann nickte er. »Also bis
    heute Abend.«
    »Los, mach schon. Stell sie ab«, drängte Brassey.
    Joe grinste, machte aber keine Anstalten, die Käfige abzuset-
    zen. Auf seinen Schultern ruckten sie ein wenig hin und her,
    weil die Ratten, sich gegenseitig drängelnd, nach Gleichgewicht
    suchten.
    »Heute Abend. Erst das Geld, dann die Ware«, sagte Tom ee-
    s
    lenruhig und stieß die Tür auf.
    Brassey zögerte. Von oben hörte man ein scharrendes Ge-
    räusch. Sein Gehilfe schleifte im ehemaligen Salon Stühle über
    den Fußboden. Der Wirt verfügte zwar über ausreichend Tische
    und Bänke für seine Gäste, aber am Morgen hatte er seinen Ge-
    hilfen angewiesen, um eine Nische in der Wand eine niedrige
    Holzbalustrade aufzubauen. Brassey wollte nämlich dem Cap-
    tain und seinen Begleitern alle Annehmlichkeiten einer Privat-
    loge bieten. Der Captain war ein Gentleman von beträchtlicher
    Kultiviertheit. Bei seinem letzten Besuch hatte er hundert Gui-
    neen für einen Hund ausgelobt, der es schaffte, in einer Minute
    zwanzig Ratten zu töten. Man konnte allerdings nicht sagen, ob
    er sich im trüben, kalten Morgenlicht des folgenden Tages noch

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    an dieses großzügige Angebot erinnerte. Brassey leckte sich die
    Lippen. Über seinen gewölbten Bauch hinweg sah er gerade noch
    die Spitzen seiner blank polierten Schuhe. Draußen in der Gasse
    war es matschiger als sonst. Er reckte sich, quetschte sich mit
    dem Oberkörper durch die Tür und rief die Männer zurück.

    Ohne die schweren Käfige gelangten Tom und Joe zügig durch
    Soho und in ihre Wohngegend zurück. Die neu gewonnene Last
    in ihren Taschen war jedoch nach ein paar fröhlich durchzech-
    ten Stunden in einer Schenke hinter der Strand schon ein wenig
    leichter geworden. Es war fast neun Uhr, als Tom in den dunklen
    Hof trat, den Bauch voll mit Bier und Roastbeef. Aus einem Kel-
    lerfenster drang das klagende Quietschen einer Fiedel. Tom hatte
    eine Unterkunft für sich allein, verfügte also über den Luxus
    eines eigenen Zimmers, doch es drängte ihn nicht dorthin zu-
    rück. Eine Frau hatte er sich nie gesucht, warum, wusste er auch
    nicht genau, außer dass er schon immer gern mit sich allein ge-
    wesen war. Zwar hatte ihm das Leben im Laufe der Jahre das eine
    oder andere Mädchen zugespielt, doch früher oder später hatte
    eine stärkere Strömung sie alle wieder mit sich fortgerissen. An-
    fangs, als er nach London gekommen war, hätte er wohl so man-
    che Chance gehabt, aber irgendwie hatte er sie immer zu spät
    erkannt und nicht rechtzeitig zugegriffen. Im Umgang mit an-
    deren war er unbeholfen und nervös und brachte keinen Ton
    heraus, und das leichtfertige Geplänkel, das den Mädchen die
    Wangen erhitzte und sie die Röcke heben ließ, brachte ihn derart
    aus der Fassung, dass ihm die Röte ins Gesicht schoss. Die ande-
    ren Burschen hielten ihn für einen Weichling. Die meisten von
    ihnen lebten mit einem Mädchen zusammen, seitdem sie zwölf
    oder dreizehn waren. In dem Haus im Flower Court, wo Tom ge-
    wohnt hatte, als er noch mit dem Alten zusammenarbeitete, teil-
    ten sich nachts an die neun Paare das Zimmer, und er hatte als

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    Einziger allein in einem Bett geschlafen. Es war schrecklich für
    ihn gewesen, aber wo hätte er sonst hingehen sollen? Tom bekam
    nicht mal eine ab, wenn die anderen ihrer Mädchen überdrüssig
    wurden und sie untereinander tauschten, nicht selten mehrmals
    bis zum Morgengrauen. Und so lag er im Dunkeln, lauschte dem
    Rascheln und Kichern und versuchte, auf seiner feuchten Stroh-
    matratze eine Stelle zu finden, wo es nicht juckte und biss. Am
    Morgen zog er dann den Kopf ein, um den neugierigen Blicken
    der Mädchen auszuweichen.
    »Du musst ihnen eine Tracht Prügel verabreichen«, hatte ihm
    einer der Burschen geraten. »Sie wollen̕s nicht anders. Die Wei-
    ber verknallen sich erst dann in dich, wenn du sie verdroschen
    hast, und solange die blauen Flecken ordentlich wehtun, denken
    sie an den Kerl, der sie ihnen verpasst hat.«
    Tom hatte den Rat jedoch

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