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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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nie beherzigt. Er hätte es gewiss ge-
    tan, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten, aber so weit
    war er nie bei einer gekommen. Wenn er glaubte, es sei an der
    Zeit, sie zu verprügeln, war sie schon auf und davon. Und so
    sparte sich Tom seine Fäuste lieber für die Abwasserkanäle auf.
    Damals, als ein erbitterter Konkurrenzkampf tobte, musste man
    schützen, was einem gehörte, sonst war es weg, eh man sich̕s
    versah. Der Rote Joe zum Beispiel. Als der jünger war, hatte er
    Hundekot für die Gerbereien gesammelt. Und er hatte seine Ar-
    beit gut gemacht, wusste er doch, welche Gerber feuchten,
    dunklen und welche eher kalkigen Kot schätzten und bereit wa-
    ren, etwas mehr dafür zu bezahlen. Er hatte so etwas wie eine
    kleine Werkstatt und mischte seine Beute je nach Kunden-
    wunsch mit Lehm oder Mörtel und rollte daraus dicke kleine Zi-
    garren oder formte lockere Klumpen – je nachdem, welche Mix-
    tur der Gerber für das dunkel glänzende Maroquin einer
    Herrenbrieftasche oder das zarte Kalbsleder eines Damenhand-
    schuhs bevorzugte. Eine Zeit lang arbeitete er sogar mit den Be-

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    sitzern von Hundezwingern zusammen, bis die Gerber diesen
    Kot aufgrund seiner schlechten Qualität nicht mehr haben woll-
    ten. Es war ein richtiges kleines Unternehmen.
    Doch es sollte nicht von Dauer sein. Als die Eisenbahn kam,
    platzte London bald aus allen Nähten, und auf einmal wurde die
    Arbeit knapp. So viele waren plötzlich hinter dem Hundekot her,
    dass sie sich um jedes kleinste bisschen prügelten, und manch-
    mal lagen schon zwei oder mehr Kotsammler auf der Lauer,
    wenn sich ein Hund auch nur hinkauerte, um sich auf das zu
    stürzen, was er hinterließ. Auch die Gerber waren keineswegs auf
    den Kopf gefallen. Sie wussten, dass hundert Hundekotverkäufer
    auf einen Abnehmer kamen und einander das Geschäft streitig
    machten. Hatte Joe früher zwei Shilling für einen Eimer bekom-
    men und mindestens einen Eimer pro Tag gesammelt, so konnte
    er, als die Iren wie ein Heuschreckenschwarm über die Stadt her-
    fielen, von Glück reden, wenn er alle fünf Tage einen Eimer zu-
    sammenbrachte und dafür zehn Pence bekam. Da hatte er be-
    reits neun Kinder. Wäre der Alte nicht gestorben und hätte Tom
    nicht einen Partner für seine Streifzüge durch die Kloaken ge-
    sucht, wäre Joe in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Das war
    ihm durchaus bewusst. Sie redeten zwar nicht darüber, wie sie
    überhaupt nicht viel redeten, aber Tom wusste, dass Joe ihm
    dankbar war. Joe war der Erste, der ihm jeden Gefallen tun
    würde, wenn er ihn darum bat. Aber Tom hatte es bisher nie da-
    rauf ankommen lassen. Und so merkwürdig es klang, er war Joe
    ebenfalls dankbar, auf seine Weise. Da er keine eigene Familie
    hatte, war Joes Familie die seine geworden, und er konnte sie be-
    suchen, wann immer er wollte. Tom hatte sogar eine Weile bei
    ihnen gewohnt, bevor der Schneider mit seiner Familie ein-
    gezogen war und den von Tom genutzten Platz als Werkstatt
    beanspruchte. Einmal, als Tom in diesem überfüllten Zimmer
    in St. Giles saß, den Teller mit dem Abendbrot auf den Knien,

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    ringsum der Lärm und das Treiben der Familie, und beobach-
    tete, wie Joes beide Jüngsten, zwei Mädchen mit dem leuchtend
    roten Haar ihres Vaters, die Ärmchen um seinen Hals schlangen
    und sein großes, mit Sommersprossen übersätes Gesicht mit
    Küssen bedeckten – da hatte es ihm zum ersten und einzigen
    Mal einen schmerzhaften Stich versetzt.
    Sie waren jetzt natürlich alle groß, die Jüngste mindestens
    neun. Insgesamt elf Kinder, nicht mitgezählt diejenigen, die ge-
    storben waren, Gott hab sie selig. Zwei Söhne arbeiteten bereits
    als Träger, von einem weiteren hatte man schon fast zehn Jahre
    lang kein Sterbenswörtchen mehr gehört. Manchmal nahmen
    sie Alfred und Jem, Joes fünftes beziehungsweise achtes Kind,
    mit hinunter in die Abwasserkanäle, wenn Not am Mann war.
    Joe hatte gehofft, einmal so etwas wie ein Geschäft an einen sei-
    ner Söhne vererben zu können, doch das schien inzwischen
    nicht mehr wahrscheinlich. Die Zeiten änderten sich schnell
    und keineswegs zum Besseren. An den Docks, wo Alf auf Arbeit
    für vier Pence die Stunde wartete und die Auftraggeber keine
    Fragen stellten, boten ganze Scharen von Männern jeglichen Ge-
    werbes ihre Dienste an. Wie Kinder aufs Mittagessen warteten
    sie auf die e
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    Schiffe, hofften auf Glück und
    auf,
    dar

    nicht hungrig zu Bett gehen zu

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