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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Dachschiefer
    notdürftig geflickt. Fremde hätten sich schwer getan, auf der
    Vorderseite einen Eingang zu finden, denn anstelle einer Tür gab
    es nur eine dicke Eisenplatte mit Rostflecken, die dreißig Zenti-
    meter tief in den schlammigen Boden gerammt und mit der
    Strebe eines Treppengeländers versperrt war. Man hätte meinen
    können, es sei ein verlassener Ort.
    Das Badger unterschied sich in jeder nur erdenklichen Hin-
    sicht von der prächtigen Taverne, die das Auge am östlichen Ende
    der Broad Street blendete. Die spiegelnden Glasfenster des Gol-
    den Hind waren mit Stuckrosetten verziert und von unzähligen
    Gasflämmchen erleuchtet, die in ihren reich vergoldeten Haltern
    mit solch verschwenderischer Üppigkeit Glanz verbreiteten, dass
    die Fenster in Flammen zu stehen schienen. Die Pracht eines sol-
    chen Palastes – die aufwendige Verzierung der Brüstung und die
    illuminierte goldene Uhr, die die Viertelstunden schlug, die glit-
    zernden Spiegel, umrahmt mit geschnitzten prallen Weintrau-
    ben und Jasminranken, die glänzende Mahagonitheke und das
    fröhliche Funkeln der Gläser – schlug den Vorübergehenden wie
    ein greller Willkommensgruß entgegen, auf dass niemand die

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    Last der Münzen in seiner Tasche auch nur eine Minute länger
    als nötig trage. Und viele waren es, die sich verführen ließen, um
    es danach zu bereuen. Das Black Badger dagegen duckte sich in
    Dunkelheit und Morast, die Hände tief in den Taschen vergra-
    ben. Es pfiff nicht vor sich hin, ja, räusperte sich nicht einmal.
    Ihm war nicht an Aufmerksamkeit gelegen. Seine Kunden wuss-
    ten, wo es zu finden war und was sie dort erwartete. Wer mit
    dem Badger zu tun hatte, kannte und schätzte diese Unauffällig-
    keit, weil er am liebsten genauso unauffällig seinen Geschäften
    nachging, so

    fern er nicht gerade vor den Vertretern der Obrig-
    keit auf der Flucht war.
    Und die Leute strömten in hellen Scharen und aus allen Rich-
    tungen ins Black Badger. Wenn sie durch den Türspalt an der
    rechten Flanke der Taverne hereingelassen wurden, störten sie
    sich nicht an der rauchgeschwärzten Tapete in der Schankstube
    und der stumpfen Glanzlosigkeit der ramponierten Zinnkrüge.
    Natürlich kamen sie auch hierher, um zu trinken. Abend für
    Abend hoben sie im Rhythmus der Kolben einer Dampfma-
    schine die Bierkrüge und Gläser mit Gin und heißem Wasser an
    die Münder und setzten sie wieder ab. Ihre Blicke und ihre Auf-
    merksamkeit galten jedoch nicht allein dem Boden ihrer Krüge.
    Diese Männer – Straßenhändler, Soldaten, Kutscher und Laden-
    besitzer – kamen aus einem anderen Grund in das Black Badger:
    Sie wollten Wetten abschließen. Sie kamen des Kampfes wegen.
    Sie waren auf den Kampf versessen.
    Tom und Joe traten, ohne anzuklopfen, durch die Seitentür
    ein und stellten die Käfige am Fuß der Treppe ab. Zum Trans-
    port der Tiere benutzten sie die weniger auffälligen, kleineren
    Käfige. Der penetrante Hundegeruch in dem engen Vorraum
    vermischte sich mit den schwächeren Dünsten von Staub, tro-
    ckener Fäulnis, Tabak und schalem Bier. Hinter dem Drahtgitter
    schoben und drängelten sich aufgeregt die Ratten, krabbelten

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    nervös übereinander, quiekten und scharrten, um etwas von den
    Düften zu erschnuppern. Gegenüber der Treppe lag der Eingang
    zur Gaststube. Durch die geschlossene Tür, die zerkratzt und
    unten völlig abgeschabt war, drang leises Gemurmel, das sich
    anhörte wie das Rattern von Wagenrädern auf Pflastersteinen.
    Tom machte dreimal ein kurzes Klopfzeichen, während sich Joe
    auf die unterste Treppenstufe hockte. Er schob die Mütze tief in
    die Stirn und ließ sich dann auf die Ellbogen zurücksinken. Der
    Treppenpfosten war voller Bissspuren. An die Wand gelehnt, ließ
    Tom die Tür nicht aus den Augen. Prompt ging sie einen Spalt-
    breit auf und wieder zu. Tom erhaschte den vertrauten Blick auf
    eine zerknautschte Mütze. Joe gähnte und st e
    r ckte die ein
    B
    e aus.
    Sein Backenbart schimmerte im dämmrigen Licht kupferrot.
    Es dauerte weitere zehn Minuten, ehe der Wirt aus der
    Schankstube kam und sie begrüßte. Frank Brassey war ein Kerl
    mit einem Brustkorb wie ein Ringer und platt gedrückter Nase.
    Sein Kopf schien direkt aus den Schultern hervorzuwachsen,
    ohne sich um etwas so Überflüssiges wie einen Hals zu scheren,
    doch er hatte schlanke Beine, und im seltsamen Kontrast zu sei-
    ner Statur bewegte er sich tänzelnd auf den Ballen seiner klei-
    nen spitzen

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