Der Vermesser
endgültig
von aller Schwärze gereinigt worden war. Beim letzten Mal hatte
ihn die Intensität des Erlebnisses weit über alles hinausgetragen,
was er bis dahin gekannt hatte, und er hatte sich der wohligen
Ekstase der Erlösung vollkommen hingegeben. Die Zeit war ver-
gangen wie im Flug. Als dann das warnende Scheppern des Ka-
naldeckels ertönte, dauerte es einige Minuten, bis er wieder in
die Gegenwart zurückfand. Sein ganzes Sein war durchdrungen
von einer weißen, reinen Ruhe, in der sich die Buchstaben seines
Namens in einer unendlichen Abfolge ständig wiederholten. Er
war William. Sein laut pochendes Herz bekräftigte es: William –
William – William. Er war in Sicherheit. Er stand auf und tastete
nach dem Messer in seinem Schoß, aber es war nicht da. Es lag
auch nicht in der Nische. Er erinnerte sich an nichts, aber es
musste ihm aus der Hand ins strömende Wasser gefallen sein. Es
war unwichtig. Er fühlte sich ruhig und gefasst. Als er wieder
oben war, drückte er dem dankbaren Ausspüler einen Shilling in
die Hand und ging langsam nach Hause. Erst sehr viel später fiel
ihm ein, dass er die Arme baden musste. Er tat es rasch, fast ohne
richtig hinzusehen, und betupfte die Wunden mit Jod. Als er je-
doch den Wattebausch wegnahm und einen flüchtigen Blick auf
die gelb gefärbte Haut warf, war es nicht das Antiseptikum, das
ihm den Atem raubte. Er musste mehrmals blinzeln und den
Kopf schütteln, um Klarheit zu gewinnen, aber das Bild vor
seinen Augen verschwand nicht. Unverkennbar, die schräg auf-
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und abwärts verlaufenden Schnitte auf seinem Arm ergaben ein
präzises Muster. Hastig wusch und verband er sich den Arm.
Er würde ihn nicht wieder ansehen. Er würde nicht mehr daran
denken. Es hatte nichts zu bedeuten. Die Schnitte liefen an den
Endpunkten einfach nur zusammen, mehr nicht. Es war reiner
Zufall, dass er sich nicht parallel verlaufende oder kreuzende
Linien, sondern tief und deutlich den Buchstaben »W« in die
Haut geritzt hatte.
Es vergingen zwei weitere Wochen, bevor die mörderische Hitze
endlich nachließ. Doch bis dahin hatte sie der sanitären Verwal-
tung der Hauptstadt einen ähnlichen Ruf eingetragen wie der
Aufstand in Bengalen ein Jahr zuvor der britischen Verwaltung
Indiens. Die Zeitungen nannten es einfach nur noch »Der Gro-
ße Gestank«. Tag um Tag, Woche um Woche hatte der Hades-
strom der Themse in der erbarmungslosen Sonne gebrodelt
und seine giftigen Ausdünstungen auf direktem Weg in das
Unterhaus geschickt. Man behauptete, wer diesen Brechreiz
verursachenden Geruch einatmete, werde ihn sein Leben lang
nicht wieder vergessen. Die zur Themseseite liegenden Fenster
des Parlaments wurden mit Tüchern verhängt, die mit einer
Chlorkalklösung getränkt waren, aber gegen den bösartigen
Geruch vermochte es nichts auszurichten. Der Gestank drang
durch die Mörtelritzen und die bemalten Holzvertäfelungen
und stieg durch die Keller nach oben. Jemand hatte gesehen,
wie der Innenminister aus dem Parlament eilte, die Wangen
bleicher als das Taschentuch, das er vor den Mund gepresst
hielt. Das Parlament konnte den miserablen Zustand des städ-
tischen Abwassernetzes nicht länger ignorieren. Noch in der
Woche vor der Sommerpause wurden Bazalgettes Vorschläge in
vollem Umfang genehmigt. Seine Behörde erhielt alle Befug-
nisse, um unverzüglich zur Tat zu schreiten. Und was das Wich-
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tigste war: Das Parlament genehmigte drei Millionen Pfund, die
innerhalb der nächsten vierzig Jahre durch eine sämtlichen Be-
wohnern Londons auferlegte Sondersteuer wieder hereingeholt
werden sollten.
London würde nie mehr sein wie zuvor.
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VIII
N ach diesem schrecklichen Sommer änderte sich in den Tun-
neln alles, allerdings nicht gerade zum Besseren. Eine Zeit lang,
als die Hitze noch wie eine schmutzige Decke über der Stadt hing,
herrschte eine gespenstische Ruhe. Die Menschen waren ange-
spannt, erschöpft, gequält von Durst und der Angst vor der Cho-
lera. Erwachsene Männer brachen auf der Straße zusammen,
unfähig, einen Schritt weiterzugehen. Gesunde Kinder erkrank-
ten plötzlich und starben. Tagelang gab es kein Wasser, obwohl
für alle Fälle die Schwengel pumpe ununterbrochen entriegelt
blieb. Und über allem lag der üble Fäkaliengestank des Flusses,
den man so wenig abschütteln konnte wie Läuse. Er schlüpfte
durch alle Hemdfasern und drang durch die Poren der Haut. Er
setzte sich in
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