Der Vermesser
aufstellen, damit er dort, die Pro-
ben vor sich ausgebreitet, arbeiten konnte. Ohne fließendes Was-
ser war keine Dränage möglich, so viel stand fest. Aber ebenso
wenig – zumindest nach Bazalgettes Ansicht – konnte man ohne
Backsteine und Mörtel Hauptkanäle für eine Stadt mit fast drei
Millionen Einwohnern bauen. Für das Abwasser der einzelnen
Straßenzüge ließen sich Rohre aus lasiertem Ton verwenden,
aber diese Abwässer mündeten zwangsläufig in einen Haupt-
strang mit einem Fassungsvermögen von mehreren Millio-
nen Litern Wasser täglich. Um sicherzustellen, dass eine solche
Durchflussmenge bewältigt werden konnte, entwarf Bazalgette
bereits in seinen allerersten Plänen Hauptkanäle, die dreieinhalb
Meter breit und bis zu vier Meter hoch waren. Nirgendwo auf
der Welt konnte eine Rohrleitung in solchen Dimensionen ge-
baut werden. Stein war teuer und unzweckmäßig. Lediglich
Backstein und Mörtel verfügten über die erforderliche Festigkeit
sowie die notwendige bauliche Anpassungsfähigkeit. Doch ge-
wöhnlicher Mauerziegel und Mörtel waren porös. Sie absorbier-
ten Wasser und feinste Partikel, die sie rissig und brüchig werden
ließen; allmählich lösten sie sich auf und bewirkten, dass die Ka-
näle verstopften. Ihre Instandhaltung wäre kostspielig und würde
die Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes schwer beeinträchtigen.
Also musste eine andere Lösung gefunden werden. Experimente
mit Portlandzement hatten alle Erwartungen übertroffen. Bazal-
gette hatte bewiesen, dass dieses Material nicht nur die Grund-
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lage für einen Wasser abweisenden Mörtel bildete, sondern dass
der so hergestellte Mörtel erhärtete, ohne auszutrocknen. Blieb
nur noch ein Problem. Zu Frühjahrsbeginn 1858, als die noch
zartgrünen Schneeglöckchen am Soho Square im eisigen Wind
fröstelten, rief Bazalgette May und zwei Ingenieure in sein Büro
und übertrug ihnen unter Lovicks bewährter Leitung die Ver-
antwortung für die Entwicklung eines kostengünstigen, wasser-
undurchlässigen Backsteins.
William starrte auf das Abendessen, das vor ihm auf dem Tisch
stand, und wischte sich die feuchten Handflächen an den Knien
ab. Obwohl er nur ein Baumwollhemd trug, schwitzte er unter
den Achseln, und der dünne Stoff klebte ihm am Rücken. Er hatte
keinen Appetit. Der Fisch glänzte auf dem Teller, schlaff und mit
offenem Maul, als machte auch ihm die Hitze zu schaffen.
»Woran denkst du?«
William blinzelte gedankenverl r
o en, dann lä h
c elte er seine
Frau an.
»Ich dachte gerade über blaue Staffordshires nach«, sagte er
entschuldigend.
»Lass mich raten. Das ist doch nicht etwa eine Backsteinart?«
»Ich fürchte, doch.«
Polly kicherte und ließ sich vorsichtig in einen Stuhl aus Bug-
holz sinken. »Das hätte ich mir denken können«, meinte sie
kopfschüttelnd. »Deine Staffordshire-Ziegel sind womöglich
blau wie Saphir und ein wahres Weltwunder, aber ich habe in
den vergangenen Monaten so viele Backsteine gekauft, dass ich
mir ein ganzes Haus damit bauen könnte.« Schwer atmend
lehnte sie sich zurück und fächelte sich Luft zu. »Sieh dir das an!
Wie oft habe ich dem Mädchen schon gesagt, dass sie die Zim-
merecken sauber fegen soll. Neun Pence pro Woche, und sie
wird der Spinnen trotzdem nicht Herr!«
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Polly machte im Sitzen eine ärgerliche Handbewegung zu dem
Spinnennetz an der Decke. Haarsträhnen klebten ihr an den ver-
schwitzten Wangen. In der drückenden Hitze waren ihre Gelenke
an Händen und Füßen, ja sogar ihre Wangen angeschwollen, und
wie sie so auf dem harten Stuhl saß, sah sie aus wie eine ausge-
stopfte Puppe. Seit sechs langen Wochen blickten die Bewohner
der Stadt jeden Morgen zu dem erbarmungslosen weißen Brenn-
ofen am Himmel hoch und sehnten sich den Sonnenuntergang
herbei. Kein Lüftchen regte sich. Durch die geöffneten Fenster
wehten nur die schweren säuerlichen Ausdünstungen von einer
Million Körpern aus tausend windstillen Gassen und Höfen he-
rein und der noch penetrantere Gestank des braunen fauligen
Flusses. Die Dampfschiffe quälten sich durch die trübe, stinkende
Brühe, ihre Schaufeln wirbelten die gärenden Untiefen auf und
schleuderten den stinkenden Schlamm an die Steinfassaden der
Brücken und Häuser. Die Fußgänger hielten sich Taschentücher
vor den Mund oder wickelten sich ihre Halsbinde vors Gesicht
und versuchten, möglichst nicht zu atmen. Jedermann fürchtete
die
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