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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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beobachtet
    hatte. Die anderen in dem kleinen Ort hatten es ebenfalls gese-
    hen. Sie waren einhellig der Meinung, der Krämer habe im Un-
    terschied zu manch anderen, die sie namentlich benennen konn-
    ten, seinen Tod auf vorbildliche Weise geregelt. Und so hatte sich
    seine Familie noch in ihrer Armut einen Rest ihrer alten Ehrbar-
    keit bewahrt. Als sie nicht mehr umhinkonnten, nach der hel-
    fenden Hand der Mildtätigkeit zu greifen, hatte man sie zwar

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    durchaus herablassend, aber keineswegs strafend behandelt. Bei
    Polly würde das nicht so sein. Die Schande würde ihr anhaften,
    Schicht um Schicht, wie Trauerschleier, würde ihr Leben ver-
    düstern und aller Welt zeigen, dass sie auf immer eine Ausgesto-
    ßene, eine Unberührbare war. Alles, was zur Kenntnis zu neh-
    men sie sich geweigert hatte, würde den anderen längst bekannt
    sein. Man würde ihren Mann einen Feigling schelten, einen Ir-
    ren, eine tödliche Gefahr für sich selbst und – die Kluft war
    schmal, kaum breiter als ein kleiner Schritt – für andere. Denn
    wer wusste schon, welch schreckliche Dinge dieser Geistesge-
    störte im Sinn hatte, der sich mitten unter ihnen verbarg? Die
    von Hawke ausgestreuten Gerüchte würden sich wie ein Lauf-
    feuer verbreiten und in den Londoner Salons und Clubs will-
    kommener Anlass sein für allerlei Anspielungen und Andeutun-
    gen. Rechtschaffene Leute würden ihnen aus dem Weg gehen,
    bebend vor selbstgefälligem Abscheu. Ihr gnadenloser Absturz
    in die Armut würde die gerechte Strafe sein, ihre Schande Got-
    tes Wille. Was dann? Wohin würden sie gehen? Was würden sie
    tun?
    Bevor William dem Ziegeleibesitzer antwortete, bat er insge-
    heim Polly um Gnade und Vergebung.
    »Mr. England, es besteht keine Möglichkeit, einen Vertrag zwi-
    schen Ihrer Firma und der Baubehörde abzuschließen. Denn dies
    würde sowohl gegen den Buchstaben als auch den Geist des Vor-
    habens verstoßen, das die Baubehörde zum Wohle einer gesun-
    den Zukunft Londons geplant hat. Ich danke Ihnen für Ihre
    Mühe und wünsche Ihnen für Ihre zukünftigen Unternehmun-
    gen viel Glück. Und nun mögen Sie mich bitte entschuldigen, ich
    fürchte, ich muss umgehend in die Greek Street zurück.«
    William hatte sich die Worte im Voraus nicht zurechtgelegt,
    er wusste nur, dass er seine Haltung unmissverständlich klar ma-
    chen wollte. Erst als Hawke keine Regung zeigte, merkte er, dass

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    er eigentlich einen tätlichen Angriff von ihm erwartet hatte.
    Aber Hawke blieb ganz ruhig im staubigen Strahl des Sonnen-
    lichts stehen, das durch das hohe Fenster hereinfiel. Er hatte
    das Gesicht von William abgewandt und die Schultern vor Zorn
    oder Entsetzen hochgezogen. Es war England, der aufsprang,
    mit hüpfenden und zuckenden Gliedern wie eine Marionette,
    die sich in ihren Schnüren verheddert hat. Auf seinen asch-
    farbenen Wangen zeichneten sich rote Flecken ab, und er fuhr
    sich mit den Fingern durch das u
    b sc i
    h ge Haar, bis es zu Berge
    stand.
    »Was ist es denn, was Sie von mir wollen? Wollen Sie noch
    mehr, ist es das? Sie ... Blutsauger, Sie alle beide! Halten Si
    e mich
    etwa für ...?«
    »Seien Sie still, Sie Narr!« Hawke schlug mit der flachen Hand
    auf den Schreibtisch, und s

    eine Miene war angespannt o
    v r a
    k um
    unterdrücktem Zorn.
    Plötzlich flog krachend die Tür zu dem Büro auf; auf der
    Schwelle erschien ein stämmiger Vorarbeiter mit einer Schürze
    aus Segeltuch, die dicken Arme über der Brust verschränkt.
    Seine Hemdsärmel hatte er weit nach oben gerollt, so dass man
    die verblassten, bläulichen Muster von Tätowierungen sehen
    konnte, wie Matrosen sie tragen. William machte einen Schritt
    auf die Tür zu. Der Vorarbeiter stellte sich in Positur, versperrte
    den Durc gang und räu
    h
    sperte sich.
    »Gibt̕s hier irgendwelche Probleme, Mr. England, Sir?«
    Hawke knurrte wütend. Seine Nasenflügel bebten vor Verach-
    tung. Langsam, ohne England auch nur eine Sekunde aus dem
    Blick zu lassen, ballte er die Hand, hob sie langsam i m
    m er höher
    und presste schließlich die Knöchel an die Mundwinkel.
    Der Fabrikant strich sich die Rockaufschläge glatt. Dabei zit-
    terten ihm die Hände, aber langsam kehrte die Farbe in sein Ge-
    sicht zurück. »Keine Probleme, Briggs«, sagte er. Seine Stimme

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    klang belegt, und er räusperte sich, bevor er fortfuhr: »Obschon
    ich denke, dass es dienlich wäre, wenn Sie im Vorzimmer blie-
    ben, bis ich die Angelegenheit mit Mr. Hawke

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