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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Ge-
    sichtsausdruck in einem fort, als wollte er erst einmal mehrere
    Möglichkeiten erproben, bevor er sich für einen bestimmten
    entschied.
    Hawke hingegen erging sich in schmieriger Jovialität. Er schlug
    William kumpelhaft auf die Schulter, als er England und ihn
    miteinander bekannt machte, und sprach in einschmeichelndem,
    vertraulichem Ton von der Zusammenarbeit, die er zwischen
    den beiden herzustellen hoffte. William schüttelte dem Ziegelei-
    besitzer widerwillig die Hand. Er hatte gehofft, vorher noch ein-
    mal mit Hawke sprechen und dadurch ein solches Treffen ver-
    meiden zu können, aber Hawke hatte sich ihm – sei es mit
    Absicht oder nicht – entzogen und sich frühzeitig allein auf den
    Weg zu England gemacht. Er ließ William eine Kutsche schicken,
    um ihn von der Greek Street abzuholen. Auf den Straßen nach
    Süden herrschte großes Gedränge, so dass es dem ständigen Ru-
    fen des Kutschers und dem energischen Tritt des Pferdes zum

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    Trotz nur langsam voranging. In der Kutsche war es staubig und
    roch streng nach abgestandenem Schweiß. William setzte sich
    breitbeinig auf die Bank, als das Gefährt durch die Victoria Street
    holperte und gefährlich ins Wanken geriet, weil es einem Schaf
    ausweichen musste, das seiner vor der Westminsterabtei grasen-
    den Herde entwischt war. Er fühlte sich eiskalt und absolut ru-
    hig. Sein verbundener Unterarm pochte tröstlich. Englands Zie-
    gelei würde bei der Auftragsvergabe nicht berücksichtigt werden.
    Sie war spezialisiert auf die Art von billigen Backsteinen, wie sie
    Spekulanten bevorzugten, um in Windeseile die niedrigen Häu-
    serzeilen hochzuziehen, die sich in die schmalen Lücken neben
    Fabriken und entlang der Bahngleise drängten und deren dünne
    Mauern das e
    R genwasser und den Ruß gierig wie ein Schwamm
    aufsogen.
    Über einem zweiflügeligen, schmiedeeisernen Tor war die In-
    schrift England & Son angebracht. Der Pförtner, der ihnen öff-
    nete, stellte gähnend die halb zerkauten Überreste seines Mittag-
    essens zur Schau. William griff sich einen gelben Backstein von
    einem Stapel neben einer Mauer, um ihn in der Hand zu wiegen.
    Er war leicht und porös wie Bimsstein. Der Haufen bestand of-
    fenbar vorwiegend aus Hartziegeln und Backsteinen, die mit zu
    hoher Temperatur gebrannt worden waren, während des Bren-
    nens Risse bekommen oder sich verformt hatten. Auf dem Hof
    herrschte eine merkwürdige Stille. Einige Arbeiter schleppten
    Paletten mit Backsteinen zu einem überdachten Wagen, der am
    anderen Ende des Hofs stand, und aus den Schloten der Brenn-
    öfen quoll schwarzer Rauch. Aber von einem geschäftigen und
    lärmenden Treiben, wie William es von florierenden Fabriken
    kannte, war hier nichts zu merken. An eine Mauer gelehnt, be-
    obachteten zwei breitschultrige, ungepflegt aussehende Männer
    mit dem muskulösen Körperbau von Brauereipferden, wie sich
    William einen Weg über den unebenen Hof bahnte. Einer der

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    beiden hielt hinter dem Rücken eine Pfeife versteckt. Durch das
    trockene Wetter war der Schlamm zu tiefen Furchen gehärtet,
    und die riesigen Stapel Backsteine auf dem schrundigen Unter-
    grund sahen unwirtlich und trostlos aus wie verlassene Behau-
    sungen.
    »Schlechte Geschäftslage? Meine Güte, nein!« Alfred England
    warf Hawke einen nervösen Blick zu, worauf dieser die Stirn
    runzelte und kaum wahrnehmbar nickte. »Unsere Backsteine er-
    freuen sich ungebrochen großer Nachfrage. Schließlich sind wir
    die Firma England & Son. Wir genießen in London mit den bes-
    ten Ruf. Allerdings haben wir unsere Produktion gedrosselt, da-
    mit wir uns voll und ganz auf die Bestellung des Amts für öffent-
    liche Bauvorhaben konzentrieren können.« Der Ziegeleibesitzer
    räusperte sich. »Schließlich erwarten Sie doch von uns, dass wir
    so schnell wie nur möglich liefern.«
    William hatte plötzlich das Bild einer Schwangeren vor Augen,
    die mit der einen Hand den dicken Bauch hält und an der anderen
    einen kleinen Jungen hat. Ihre Hände waren rau von der Arbeit
    und von der Anstrengung des Lebens. Polly. Und seine Mutter.
    Beide, ganz unterschiedliche Menschen und doch un unterscheid-
    bar, wie das Bild, das ihm sein Lehrer einst gezeigt hatte, auf dem
    sowohl ein Vogel als auch ein Hase zu sehen waren, je nachdem,
    was von beidem man erkennen wollte. Er hatte es seinem Vater
    nie verziehen, dass er gestorben war, obwohl er den verzweifelten
    Überlebenskampf dieses Krämers mit eigenen Augen

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