Der Vermesser
er achtete darauf, dass der andere seine
Anwesenheit registrierte. Dabei war es keineswegs so, dass Tom
etwas sagte oder tat, um gezielt Aufmerksamkeit auf sich zu len-
ken. Fürs Erste genügte es, wenn der Captain ihn im Publikum
wahrnahm und merkte, dass er dazugehörte, Teil einer fest ge-
fügten Ordnung war, in der Fäuste mehr zählten als feinsinnige
Argumente, und die Durchsetzungskraft von Gesetz und Gewis-
sen etwa so groß war wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne
den Londoner Nebel durchdrang. in
E e Ordnung, bei der ein
Außenseiter gut daran tat, nichts in Frage zu stellen.
Auch wenn Tom den Schliff und die Bildung eines Gentle-
mans entbehrte, so war doch sein Geruchssinn scharf wie eh und
je. Bald schon sah er sich in ein Gespräch mit den Begleitern des
Captain verwickelt, die staunend über den zwischen Tom und
dem Captain geschlossenen Handel debattierten. Und wenig
später gab der Captain ihnen allen eine Runde aus, um das Ge-
schäft zu besiegeln, und der sonst so wortkarge Tom ließ sich
überreden, Geschichten von besonders blutigen Rattenkämpfen
zu erzählen, was den Begleitern des Captain Schauder des Ent-
setzens und der Erregung über den Rücken jagte. Und wiederum
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ein wenig später, als die ersten Kämpfe vorüber waren und sich
die Herrschaften, erschöpft vom Blutrausch und ihrer eigenen
Verwegenheit, schwitzend und mit stierem Blick in ihren Stüh-
len zurücklehnten, ließ sich Tom zu der Bemerkung hinreißen,
dass das Leben eines Kanaljägers, tief unten in den Tunneln, an
Gefährlichkeit alles in den Schatten stelle, was ein Mensch oben
auf der Straße jemals erleben könne.
Sofort wurden die A gen
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der Gentlemen noch gr ßer,
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begierig auf mehr hoffend, beugten sie sich vor.
»Na sicher«, meinte der Captain und entblößte dabei die
Zähne. »Ich möchte wetten, dort unten geschieht alles, was man
sich an üblen Sachen ausmalen kann. Morde und noch Schlim-
meres.«
Tom zuckte die Achseln. »Man erlebt schon ziemlich merk-
würdige Dinge.«
»Erzähl uns davon«, forderte ihn der Captain auf, teils
schmeichelnd, teils drohend.
»Derlei werden Sie nicht hören wollen«, erwiderte Tom.
»O doch«, insistierte der Captain, blickte auf die gespannten
Mienen seiner Begleiter und ließ dabei verlockend die Münzen
in seiner Tasche klimpern. »Und ob wir das hören wollen.«
Und so begann Toms einträgliches Geschäft mit Geschichten
aus dem Leben eines Kanaljägers. Plötzlich sprudelten aus dem
Mann, der sein ganzes Leben nie auch nur eine Silbe zu viel ge-
sprochen hatte, die Worte so ungezwungen und sorglos heraus
wie bei einem Marktschreier. Geschichten von Niedertracht und
Grausamkeit – genau das, wonach die feinen Herren gierten – ,
Geschichten, die ihre Augen funkeln ließen und denen sie keu-
chend und mit offenem Mund lauschten. Und je schauerlicher
die Geschichte, umso mehr keuchten sie und umso mehr Mün-
zen glitten aus ihren Taschen. Tom tat ihnen gern den Gefallen.
Weshalb sich haarklein an die Wahrheit halten, wenn die feinen
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Herren zufrieden waren? Also erfand er bei manchen wirklichen
Vorkommnissen da und dort ein paar Einzelheiten hinzu und
ließ der Fantasie ein wenig freien Lauf. Tom erzählte von Män-
nern, die man, an Händen und Füßen gefesselt, bei Newgate in
die Kanäle geworfen habe, wo grimmige Heerscharen von Rat-
ten ihnen bei lebendigem Leibe das Fleisch von den Knochen
fraßen, bis nur noch ihr Skelett und zwei zernagte Stücke Seil
übrig waren. Er erzählte von einer Schenke, die nur einen Stein-
wurf von der ihren entfernt lag; dort sei Männern, die ihre Kum-
pel an die Polizei verpfiffen hatten, im Keller der Garaus ge-
macht worden. Ihre Leichen habe man durch eine Falltür im
Kanal verschwinden lassen, so dass man nie wieder etwas von
ihnen hörte oder sah. Er erzählte vom Themseabschnitt beim
alten Grinacre in Southwark, wo im Wasser haufenweise Lei-
chenteile trieben, die Medizinstudenten nach der Sezierung der
Toten dort in die offenen Kanäle warfen. Und diese fast wahre
Geschichte schmückte er noch aus, indem er von Mördern be-
richtete, die, um ihre Verbrechen zu vertuschen, ihre Opfer zer-
stückelten und ebenfalls in diesen Kanalabschnitt warfen, wo sie
sich mit den übrigen Leichenteilen vermischten.
»Und die Mörder, die Leute, die ... diese entsetzlichen Verbre-
chen begangen haben – bestimmt hat man sie gefasst, als die
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