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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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anderen Seite des Schreibtisches so vertraut gewesen war, dass er sogar jetzt noch, da er mit dem Rücken zur Wand saß, vor seinem inneren Auge die von Narraway dort aufgehängten Bilder sehen konnte. Es waren überwiegend Bleistiftzeichnungen von kahlen Bäumen mit wirrem Geäst, hinter denen der Himmel lediglich angedeutet war. Auf einer der Zeichnungen allerdings war ein alter steinerner Turm am Meer zu sehen, doch auch dort war der Vordergrund genauestens mit Licht und Schatten herausgearbeitet, während die See dahinter lediglich den Eindruck endloser Ferne vermittelte.
    Er nahm sich vor, Austwick zu fragen, wo die Bilder jetzt waren, und sie wieder an ihren alten Platz zu hängen. Seiner Ansicht nach gehörten sie dorthin. Außerdem würden sie ihn ständig an Narraway erinnern – ein ebenso tröstender wie betrüblicher Gedanke. Falls man ihn nicht wieder in sein Amt einsetzte, würde Pitt sie ihm zurückgeben, denn sie waren sein Eigentum.
    Narraway würde genau wissen, wie all die zum Teil widersprüchlichen Aufgaben in den sich vor Pitt auf dem Schreibtisch
türmenden Akten zu erledigen waren. Unter ihnen befanden sich Berichte örtlicher Polizeidienststellen, aber auch solche von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes, die in verschiedenen Teilen des Landes tätig waren, während wieder andere aus Städten aller Länder Europas kamen. Manche dieser Vorgänge waren Pitt bekannt, über andere hingegen wusste er so gut wie nichts, da Narraway sie persönlich bearbeitet hatte.
    Gewiss, Austwick hatte ihm Aktennotizen hinterlassen. Aber wie konnte er sich auf etwas von dem verlassen, was dieser Mann gesagt oder geschrieben hatte, ohne dass sich eine vertrauenswürdige Stelle für dessen Richtigkeit verbürgte? Solche Bestätigungen einzuholen würde Zeit in Anspruch nehmen, die er nicht hatte. Und wem durfte er überhaupt trauen? Ihm würde nichts anderes übrigbleiben, als den ganzen Wust durchzuarbeiten. Er würde die dringendsten Fälle zuerst in Angriff nehmen müssen, Angaben miteinander vergleichen, streichen, was ihm unwahrscheinlich erschien, und dann überlegen, was mit dem Rest zu tun war.
    Während der Vormittag verging und ein Mitarbeiter nach dem anderen mit weiteren Akten, Lageberichten und schriftlich niedergelegten Einschätzungen hereinkam, wurde ihm schmerzlich bewusst, wie einsam sich Narraway gefühlt haben musste. Auch wenn er sich wohl auf die Ehrlichkeit mancher seiner Untergebenen verlassen durfte, mochte das nicht unbedingt für deren Urteilskraft gelten, jedenfalls nicht in jeder Beziehung. Bei anderen war er überzeugt, ihnen nicht einmal Tatsachenbehauptungen glauben zu dürfen, und so wagte er niemandem zu vertrauen. Jetzt, da er die Führung hatte, gestand ihm niemand Verletzlichkeit oder Unsicherheit zu, und alle waren überzeugt, dass man ihn nicht zu beraten brauchte.
    Auf den Gesichtern der meisten seiner Untergebenen erkannte er Höflichkeit und den Respekt, den sie dem Mann an der Spitze schuldeten, doch sah er auf manchen auch Neid
und in einzelnen Fällen Wut darüber, dass man ihn, der noch nicht sonderlich lange da war, bei der Beförderung allen anderen vorgezogen hatte. Keiner erwies ihm die Art von Achtung, die er brauchte, um sicher zu sein, dass sie ihm über das der Pflicht geschuldete Maß hinaus loyal sein würden. Eine solche Art von Treuebezeigung musste man sich verdienen.
    Er hätte gern den größten Teil dessen, was er besaß, dafür gegeben, dass Narraway wieder an diesem Schreibtisch sitzen konnte. Stets fürchtete er, eine Situation falsch zu beurteilen, die Bedeutung von Informationen nicht richtig einzuschätzen oder auch einfach nicht den nötigen Mut und Verstand aufzubringen, um richtige Entscheidungen zu treffen. Ein einziger größerer Fehler, den er beging, konnte genügen, einen anderen Menschen das Leben zu kosten.
    Aber Narraway saß jetzt irgendwo in Irland. Warum nur hatte Charlotte ihn begleitet? Um ihn im Kampf gegen das ihm angetane Unrecht zu unterstützen – oder aus Ergebenheit einem Freund gegenüber, der auf Hilfe angewiesen war? Wie sehr das ihrem Wesen entsprach! Andererseits aber war Narraway Pitts Freund und nicht der ihre. Noch während er über die Situation nachdachte, fielen ihm ein Dutzend kleiner Einzelheiten ein, die ihm gezeigt hatten, dass Narraway schon seit längerem in Charlotte verliebt war.
    Er konnte sich genau erinnern, wann er das zum ersten Mal gemerkt hatte. Ihm war aufgefallen, wie sich Narraway in der Küche

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