Der Verräter von Westminster
unaufmerksamen Minister zu bestehlen, und so entschied er sich, Anklage wegen eines geringfügigeren Vergehens erheben zu lassen, statt auf dem Anklagepunkt »Ausspähen von Staatsgeheimnissen« zu beharren.
Am Abend kehrte er müde und mit dem Gefühl, wenig geleistet zu haben, nach Hause zurück. Doch alle Niedergeschlagenheit und Mattigkeit verflogen in dem Augenblick, als er die Haustür öffnete und ihm Daniel durch die Diele entgegengerannt kam. »Papa, Papa, ich hab ein Schiff gemacht! Komm mit und sieh es dir an!« Er fasste seinen Vater an der Hand und zog ihn mit sich.
Lächelnd folgte er dem Jungen bereitwillig in die Küche, aus der es verlockend duftete. In einer großen Kasserolle auf dem Herd brodelte etwas, und auf dem Küchentisch war inmitten von zerfetztem Zeitungspapier eine Schüssel mit einer
weißen Masse zu erkennen. Minnie Maude stand mit einer Schere in der Hand davor. Wie gewöhnlich war ihr Haar völlig ungeordnet, weil sie irgendwann die Lust verloren hatte, es immer wieder neu festzustecken. In der Mitte des ganzen Durcheinanders stand ein großes Schiff aus Pappmaché, aus dem zwei Holzstücke als Masten und mehrere dünne Wachskerzen als Rahnock, Bugspriet und Spieren hervorstanden.
Minnie Maude sah Pitt verlegen an. Offensichtlich hatte sie ihn später erwartet.
»Sieh mal!«, sagte Daniel begeistert und wies auf das Schiff. »Minnie Maude hat mir gezeigt, wie man das macht.« Achselzuckend fügte er hinzu: »Und Jemima hat mir ein bisschen … na ja … ziemlich viel geholfen.«
Mit einem Mal erfüllte Pitt ein tiefes Gefühl der Wärme. Er sah auf Daniels vor Stolz strahlendes Gesicht und dann auf das Schiff.
»Es ist großartig«, sagte er mit vor Rührung beinahe erstickter Stimme. »Ich habe noch nie so ein schönes Schiff gesehen.« Dann wandte er sich Minnie Maude zu, die ganz offensichtlich damit rechnete, getadelt zu werden, weil sie gespielt hatte, wo sie eigentlich das Abendessen rechtzeitig hätte auf den Tisch bringen sollen.
»Danke«, sagte er aufrichtig. »Stellen Sie es bitte erst weg, wenn sicher ist, dass es dabei nicht zu Schaden kommen kann.«
» Was … was is mi’m Ab’ndess’n, Sir?«, fragte sie und atmete erleichtert auf.
»Wir räumen das Zeitungspapier und die Masse weg und essen um das Schiff herum«, sagte er. »Wo ist Jemima?«
»Die liest«, gab Daniel sofort zur Antwort. »Sie hat mein Neues Universum genommen. Warum liest sie eigentlich keine Mädchenbücher?«
»Weil die langweilig sind«, ertönte von der Tür die Stimme seiner Schwester, die ungehört hereingekommen war. An Pitt
vorüber warf sie einen Blick auf den Tisch und das in dessen Mitte stehende Schiff. »Du hast ja die Masten drauf! Toll!« Sie lächelte Pitt strahlend zu. »Hallo, Papa. Sieh mal, was wir gemacht haben.«
»Ja«, sagte er, legte ihr den Arm um die Schulter und fuhr fort: »Es ist einfach großartig.«
»Wie geht es Mama?«, fragte sie mit besorgter Stimme.
»Gut«, gab er im vollen Bewusstsein dessen zurück, dass er die Unwahrheit sagte, und drückte sie ein wenig fester an sich. »Sie hilft einem Freund, der in Schwierigkeiten ist, kommt aber bald wieder. Jetzt wollen wir den Tisch abräumen und essen.«
Als es später im Hause still wurde, setzte er sich allein im Wohnzimmer in einen Sessel. Daniel und Jemima waren zu Bett gegangen, auch Minnie Maude hatte ihr Zimmer aufgesucht, nachdem sie in der Küche Ordnung geschaffen hatte. Im Hause war es so still, dass Pitt jede einzelne Treppenstufe hatte knarren hören. Dass er jetzt weder Geräusche noch Bewegungen im Hause wahrnahm, war alles andere als trostreich und erfüllte ihn erneut mit Gedanken, die ihm wie Nebelschwaden durch den Kopf wirbelten. Tiefe Schatten umgaben die Lichtinseln um die Lampen an der Wand. Er kannte jede einzelne Oberfläche in dem Raum und wusste, dass alles so peinlich sauber war, als sei Charlotte im Hause gewesen, um das neue Mädchen zu überwachen, dessen einziger Fehler es war, nicht Gracie zu sein. Doch, sie war wirklich gut, ihr fehlte lediglich das Altvertraute. Der Gedanke an das Pappmaché-Schiff zauberte ein Lächeln auf Pitts Züge. Das war nichts Banales, sondern sehr wichtig. Mit Minnie Maude Mudway hatten sie ganz offensichtlich einen Treffer gelandet.
Lange dachte er an Jemima, ihren Stolz auf das von ihr gemeinsam mit ihrem Bruder Geleistete und daran, wie glücklich Daniel gewesen war. Schließlich wandte er seine Aufmerksamkeit
dem zu, was ihn am kommenden
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