Der Verräter von Westminster
zahlen werde. Das ist sicher besser, als wenn du einen anderen Namen angibst – auf keinen Fall deinen oder den von Thomas.«
»Charlotte war so vorausblickend, in Dublin meinen Koffer zu packen, so dass ich alles an Kleidung habe, was ich brauche«, sagte er und war zum ersten Mal seit längerer Zeit belustigt.
» Wieso das?«, fragte Vespasia kühl.
»Sie musste die Pension verlassen, in der wir Quartier genommen hatten«, erläuterte er, nach wie vor lächelnd. »Da sie mein Gepäck nicht einfach dalassen wollte, hat sie es mitgenommen. Wenn du mich schon nicht besonders gut kennst, solltest du zumindest sie kennen!«
»Da hast du Recht«, gab sie in etwas freundlicherem Ton zurück. »Bitte entschuldige. Aber dich kenne ich natürlich ebenfalls. Ich werde so nahe an Mitternacht da sein, wie ich kann. Ich bin sehr froh zu hören, dass du in Sicherheit bist, Victor.«
Diese Worte bedeuteten ihm mehr, als er angenommen hatte. Da er erstaunt merkte, dass ihm darauf keine Antwort einfiel, hängte er den Hörer schweigend an den Haken.
Pitt hatte sich gerade an den Küchentisch gesetzt, um zu Abend zu essen, als Minnie Maude hereinkam. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Augen glänzten, und sie knetete die Hände.
»Was gibt es?«, fragte Pitt, der sich sogleich Sorgen machte.
Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus. »Da is Lady Vespasia Cumming-Gould für Sie, Sir. Was soll ich mit ihr mach’n, Sir?«
»Ach so«, sagte Pitt erleichtert. »Führen Sie sie herein, und setzen Sie den Wasserkessel noch einmal auf.«
Minnie Maude rührte sich nicht. »Nein, Sir, sie is’ doch ’ne wirkliche Dame, nich’ nur einfach ’ne nette Frau.«
»Selbstverständlich«, gab ihr Pitt Recht. »Aber sagen Sie ihr bitte, sie möchte in die Küche kommen. Sie war schon früher hier. Dann machen Sie ihr eine Tasse Tee. Wir haben Earl Grey im Haus, eigens für sie.«
Minnie Maude sah ihn an, als habe er den Verstand verloren.
»Bitte«, fügte er hinzu.
»Se entschuldig’n, Sir«, sagte Minnie Maude unsicher, »aber Se seh’n aus, wie wenn man Se durch ’ne Dorn’nhecke gezog’n hätte.«
Pitt fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Sie würde mich gar nicht erkennen, wenn ich anders aussähe. Lassen Sie sie doch nicht länger in der Diele stehen, und bringen Sie sie her.«
»Se is’ nich in der Diele, Sir, se is’ im Wohnzimmer«, teilte ihm Minnie Maude mit, offensichtlich entsetzt von seiner Vorstellung, sie könne solch hohen Besuch einfach in der Diele stehenlassen.
»Entschuldigen Sie. Natürlich. Bringen Sie sie trotzdem her.«
Sie gab sich geschlagen und gehorchte.
Als Pitt den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte und den Tisch abräumte, trat Lady Vespasia ein. »Mir hat es hier immer gefallen«, sagte sie. »Danke, Minnie Maude. Es tut mir leid, dich beim Abendessen zu stören, Thomas, aber es ließ sich nicht vermeiden.«
Hinter ihm eilte Minnie Maude zum Herd und setzte den Wasserkessel auf. Dann spülte sie die Kanne aus, in der sie den Tee für Pitt gemacht hatte, und bereitete alles für den Earl
Grey der vornehmen Besucherin vor. Sie hielt sich sehr gerade, und ihre Hände zitterten ganz leicht.
Ohne Lady Vespasia zu unterbrechen, schob ihr Pitt einen der Küchenstühle hin und wollte ihr den Umhang abnehmen, doch sie wehrte ab.
»Ich habe einen Anruf von Victor Narraway bekommen«, sagte sie. » Von einem Hotel etwas außerhalb der Stadt aus. Charlotte ist bei ihm, und es geht ihr gut. Du brauchst dir also ihretwegen keine Sorgen zu machen. Wohl aber gibt es andere Dinge, die deine sofortige und vollständige Aufmerksamkeit erfordern.«
»Narraway?« Seine Gedanken jagten sich. Sie hatte sich so diskret wie möglich ausgedrückt, zweifellos im Bewusstsein, dass Minnie Maude jedes Wort hören konnte. Es wäre unnötig grausam gewesen oder möglicherweise sogar gefährlich, sie grundlos zu ängstigen. Das hatte sie nicht verdient, ganz von der praktischen Erwägung abgesehen, dass Pitt darauf angewiesen war, dass sie sich mit ihrem Alltagsverstand um den Haushalt und vor allem um die Kinder kümmerte – zumindest bis zu Charlottes Rückkehr. Er musste sich eingestehen, dass er die junge Frau zu schätzen gelernt hatte. Sie war umgänglich, hatte einen wachen Geist und war voller Schwung, womit sie in gewisser Hinsicht Gracie ähnelte.
»Ja.« Lady Vespasia wandte sich Minnie Maude zu. »Wenn Sie den Tee gemacht haben, mein Kind, packen Sie bitte einen kleinen Koffer für den
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