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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bestreiten. So etwas aber muss in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Menschen im Lande geschehen, man darf es ihnen auf keinen Fall durch eine Handvoll Fanatiker aufzwingen. Bei uns ist es immer wieder zu Veränderungen gekommen, aber Schritt für Schritt. Man sehe sich nur die Geschichte der Revolutionen des Jahres 1848 an. Damals war England das einzige größere Land Europas, in dem es keine Aufstände gegeben hat. Und wo waren zwei Jahre später all die Idealisten, die auf die Barrikaden gestiegen waren? Wo waren all die um einen so hohen Blutzoll errungenen Freiheiten geblieben? Jede einzelne von ihnen war dahin, und jedes der alten Regimes saß wieder fest im Sattel.«
    Croxdale sah ihn unverwandt an. Seinem Gesicht war nicht anzumerken, was er dachte.
    »Bei uns hat es keinen Aufstand gegeben«, fuhr Narraway fort, etwas leiser, aber nach wie vor mit Nachdruck. »Weder Tote noch großartige Ansprachen, lediglich allmählichen gewachsenen Fortschritt. Gewiss, das ist langweilig, entbehrt womöglich auch jeden Heldentums, verläuft aber dafür auch unblutig und, wichtiger noch, ist von Dauer. Wir leben nicht unter einer früheren Tyrannei, und unsere Regierung ist eigentlich gar nicht so schlecht.«
    »Danke«, sagte Croxdale trocken.
    Narraway bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln, was bei ihm selten war. »Gern geschehen, Sir.«
    Croxdale seufzte. »Ich wünschte, es wäre so einfach. Es tut mir leid, Narraway, aber Sie müssen diese üble Geschichte um den Verbleib des für Mulhare bestimmten Geldes unverzüglich
aufklären. Austwick übernimmt einstweilen die Sache mit den Sozialisten, bis Sie damit fertig sind. Ich brauche unwiderlegliche Beweise dafür, dass ein Dritter das Geld auf Ihr Konto geleitet hat und Sie erst in dem Augenblick davon erfahren haben, als Ihnen Austwick das mitgeteilt hat. Außerdem brauchen wir den Namen des oder der dafür Verantwortlichen, denn immerhin ist mit dieser Geschichte einer der besten Leiter des Sicherheitsdienstes lahmgelegt worden, den wir im letzten Vierteljahrhundert hatten. Das aber ist Landesverrat und zugleich gegen die Königin gerichteter Hochverrat. «
    Narraway brauchte einen Augenblick, um zu erfassen, was Croxdale damit gesagt hatte. Er saß regungslos da, umklammerte mit kalten Fingern die Sessellehnen, als müsse er sich im Gleichgewicht halten. Er holte Luft, um aufzubegehren, sah dann aber an Croxdales Gesicht, dass dieser Versuch sinnlos sein würde. Die Entscheidung war getroffen, und sie war endgültig. Er saß in der Falle und hatte nicht einmal gemerkt, wie er hineingegangen war. Jetzt hielt sie ihn fest wie das Fangeisen das Bein eines Tieres.
    »Tut mir leid, Narraway«, sagte Croxdale ruhig. »Im Augenblick genießen Sie weder das Vertrauen der Regierung Ihrer Majestät noch das Ihrer Majestät. Mir bleibt nichts anderes übrig, als Sie so lange von Ihrer Aufgabe zu entbinden, bis Sie Ihre Schuldlosigkeit beweisen können. Mir ist bewusst, dass Ihnen das ohne Zugang zu Ihrem Büro und ohne Zugriff auf die dort befindlichen Unterlagen schwerer fallen wird, aber Ihnen muss auch klar sein, dass ich nicht anders vorgehen kann. Sofern Sie Zugang zu den Dokumenten hätten, gäbe Ihnen das zugleich die Möglichkeit, sie zu verändern, zu vernichten oder welche hinzuzufügen.«
    Narraway war benommen. Es war, als habe man ihm einen Schlag vor den Kopf versetzt. Mit einem Mal bekam er kaum
noch Luft. Die Situation war grotesk. Er war Leiter des Sicherheitsdienstes, und der für ihn zuständige Minister teilte ihm aus heiterem Himmel mit, dass er vorerst seines Amtes enthoben sei. Der Mann hatte diese einsame Entscheidung getroffen, sie ihm mitgeteilt, und damit war der Fall erledigt.
    »Tut mir leid«, wiederholte Croxdale. »Das ist eine eher unglückliche Art, mit der Sache umzugehen, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Natürlich können Sie nicht nach Lisson Grove zurück.«
    »Was?« Die Frage entfuhr Narraway und machte ihn verwundbarer, als er gewollt hatte. Er ärgerte sich über sich selbst, aber es war zu spät. Es gab nicht einmal die Möglichkeit, das zu überspielen, ohne die Dinge zu verschlimmern.
    »Sie können nicht in Ihr Büro zurück«, sagte Croxdale, um Geduld bemüht. »Zwingen Sie mich nicht, die Angelegenheit aufzubauschen.«
    Narraway erhob sich und merkte entsetzt, dass er leicht schwankte, als habe er getrunken. Er hätte gern etwas gesagt, was ihm einen würdevollen Abgang verschaffte, und zwar mit gefasster

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