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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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war, und er verstand beides. Alle hatten Grund gehabt, Narraway zu hassen. Doch so lebhaft ihm die Dinge auch vor Augen standen, sie lagen zwanzig Jahre zurück.
    Er hob den Blick zu Stoker. »Warum bringen Sie mir das?«, fragte er. »Der Fall ist erledigt. Es ist eine alte Geschichte.«
    »Der Ärger mit Irland ist nie zu Ende«, gab Stoker schlicht zurück.
    »Wir haben hier jetzt aber dringendere Probleme«, hielt ihm Narraway vor. »Und möglicherweise auch auf dem europäischen Festland.«
    »Sozialisten?«, sagte dieser trocken. »Die haben immer was zu meckern.«
    »Es ist weit mehr als das«, teilte ihm Narraway mit. »Es sind Fanatiker. Es handelt sich um eine Art neue Religion, die sie mit einem missionarischen Eifer verbreiten, als gehe es um eine heilige Sache. Ganz wie das Christentum in seinen Anfängen
hat auch sie ihre Apostel und ihre Dogmen – außerdem ihre Sekten, die sich alle miteinander über die Frage in den Haaren liegen, welches der wahre Glaube ist.«
    Stoker sah verwirrt drein, als halte er das für unerheblich, auch wenn es der Wahrheit entsprach.
    »Sie halten sich gegenseitig alle miteinander für Ketzer«, sagte Narraway bitter, »und deshalb bekämpfen die einen die anderen ebenso sehr wie jeden Außenstehenden.«
    »Gott sei Dank«, sagte Stoker mit Nachdruck.
    »Wenn wir dann sehen, dass sich Jünger verschiedener Glaubensrichtungen insgeheim treffen und zusammenarbeiten, wissen wir, dass es sich um eine ungeheuer wichtige Sache handeln muss, die für eine Weile die Kluft zwischen ihnen überbrückt hat.« Narraway hörte die Schärfe in seiner eigenen Stimme und erkannte in Stokers Augen, dass er ihn jetzt verstanden hatte.
    Langsam stieß Stoker die Luft aus.
    »Wie viel wissen wir über das, was die vorhaben, Sir?«
    »Ich ahne es nicht im Entferntesten«, gab Narraway zu. »Im Augenblick liegt die ganze Sache auf Pitts Schultern.«
    »Und auf Ihren«, sagte Stoker. »Wir müssen unbedingt die Geschichte mit dem Geld aufklären, Sir, damit Sie wieder nach Lisson Grove zurückkönnen.«
    Während Narraway Luft holte, um zu antworten, spürte er, wie ihn mit einem Mal eine sonderbare Mischung der unterschiedlichsten Gefühle erfüllte: tiefe Überzeugung, Furcht, Hilflosigkeit und der Eindruck, etwas verloren zu haben. Worte waren außerstande, das auszudrücken.
    Stoker wies auf die von ihm mitgebrachten Papiere. »Wir können es uns nicht leisten zu warten«, sagte er eindringlich. »Ich habe im Hinblick auf Informanten, Geld und Irland so viel durchgesehen, wie ich konnte, um festzustellen, was dahinterstecken könnte. Den Fall hier halte ich für den wahrscheinlichsten.
Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass auch jemand anders kürzlich diese Akte herausgekramt hat.«
    »Woran wollen Sie das gemerkt haben?«
    »An der Art, wie sie zurückgestellt worden ist.«
    »Unordentlich?«
    »Nein, im Gegenteil – alles war geradezu übertrieben genau geordnet.«
    Jetzt fürchtete Narraway um Stoker. Mit seinem Verhalten setzte der Mann seine Anstellung aufs Spiel, und wenn man ihm auf die Schliche kam, konnte man auch ihm den Prozess wegen Hochverrats machen. Allerlei Möglichkeiten schossen Narraway durch den Kopf, unter anderem der Verdacht, es könnte sich um eine Falle handeln, die man ihm stellte. Doch auf die Gefahr hin, dass es sich so verhielt, wollte er die Akte studieren, allerdings nicht in Stokers Gegenwart. Für den Fall, dass dessen Handlungsweise auf Ergebenheit seinem Vorgesetzten gegenüber fußte oder auch nur auf Anstand und Wahrheitsliebe, wollte er vermeiden, dass Stoker die damit verbundene Gefahr auf sich nahm. Es wäre besser für beide, nicht dabei ertappt zu werden.
    »Woher haben Sie die?«, fragte er.
    Stoker sah ihn mit dem Anflug eines Lächelns an. »Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen, Sir.«
    Narraway erwiderte das Lächeln. »Damit ich es nicht weitersagen kann«, folgerte er.
    Stoker nickte. »Das auch, Sir.«
    Die Art, wie ihn Stoker immer wieder mit »Sir« anredete, gefiel ihm in sonderbarer Weise, als sei er immer noch derjenige, der er am Vormittag gewesen war. War ihm die Achtung anderer so wichtig? Wie erbärmlich!
    Er schluckte hart und sog die Luft ein. »Lassen Sie mir das da. Gehen Sie nach Hause, wo jeder Sie vermutet. Holen Sie es wieder ab, sobald das ohne Gefahr möglich ist.«

    »Tut mir leid, Sir, aber das muss vor Morgengrauen wieder an Ort und Stelle sein«, gab Stoker zur Antwort. »Genau genommen je früher, desto

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