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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ersten Mal im Leben einen tief reichenden Schmerz, über den er nicht hinwegkam und der darauf zurückging, dass man ihm das Einzige genommen hatte, was ihm wichtig war: seine Arbeit, die für ihn mehr oder weniger gleichbedeutend mit seiner Identität war.

    Warum nur um Himmels willen fuhr sie hier an der Seite eines Mannes, den sie vor dem heutigen Abend noch nie gesehen hatte, durch die finsteren Straßen einer fremden Stadt, ging unvernünftige Risiken ein, tischte anderen Leuten Lügengeschichten auf, um einem Mann zu helfen, den sie selbst kaum kannte? Warum schmerzte sie so sehr, was er verloren hatte?
    Die Antwort war einfach – weil sie sich vorstellen konnte, wie sie sich in seiner Situation fühlen würde. Aber er war nicht wie sie. Sie dachte daran, dass ihm an ihr lag, denn das hatte sie in Augenblicken, in denen er seine Gefühle nicht wie sonst beherrscht hatte, an seinem Gesicht erkannt. Sie hatte seine Einsamkeit gesehen, seine Sehnsucht nach einer Liebe, die ihm nur lästig sein würde, wenn man sie ihm schenkte.
    »Ich habe gehört, dass Ihnen Talulla Lawless eine Probe ihres Temperaments geliefert hat«, unterbrach McDaid ihre Gedanken. »Das tut mir leid. Sie ist tief verletzt und sieht keinen Grund, daraus einen Hehl zu machen. Aber daran tragen Sie keine Schuld. In jedem Krieg sind Opfer zu beklagen, und unter ihnen ist die Zahl der Unschuldigen, die es zufällig trifft, häufig ebenso hoch wie die der Schuldigen.«
    Sie wandte sich ihm zu und sah im Schein der Laterne eines Wagens, der ihnen entgegenkam, ein trübseliges Lächeln auf seinem Gesicht. Dann hüllte ihn wieder die Dunkelheit ein, und sie war sich seiner Gegenwart lediglich aufgrund seiner leisen Stimme sowie des Geruchs von Tabak bewusst.
    »Natürlich«, stimmte sie ihm zu.
    In der Molesworth Street hielt die Kutsche an.
    »Vielen Dank, Mr McDaid«, sagte sie gänzlich gefasst. »Es war äußerst zuvorkommend von Ihnen, mich einzuladen und zu begleiten. Die Gastfreundschaft der Menschen in Dublin ist genau so, wie man es mir berichtet hat, und Sie dürfen mir glauben, dass das ein hohes Lob ist.«

    »Wir haben gerade erst angefangen«, gab er mit Wärme zurück. »Grüßen Sie Victor von mir, und sagen Sie ihm, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen werden. Ich werde nicht ruhen, bis ich Sie davon überzeugt habe, dass Dublin die schönste Stadt der Welt ist und die Iren die besten Menschen. – Das sind wir selbstverständlich trotz unserer Schwierigkeiten und unserer Leidenschaftlichkeit. Man kann uns nicht hassen, müssen Sie wissen.« Im Schein der Lampe sah sie, dass er seine Worte mit einem fröhlichen Lächeln begleitete.
    »Jedenfalls nicht auf die Weise, wie Sie uns hassen«, stimmte sie freundlich zu. »Aber wir haben auch keinen Grund dazu. Gute Nacht, Mr McDaid.«

KAPITEL 5
    Noch als sie am nächsten Morgen Narraway am Frühstückstisch in Mrs Hogans ruhiger Pension gegenübersaß, hatte sich Charlotte nicht entschieden, was sie ihm sagen wollte. Sie brauchte noch viel mehr Zeit, um einzuordnen, was sie gehört hatte, und möglicherweise würde nicht einmal das helfen. Um diese relativ späte Vormittagsstunde waren keine weiteren Gäste im Speiseraum. Auf den meisten anderen Tischen lagen bereits frische Leinentischtücher mit Spitzenbesatz für das Abendessen.
    »Ausgesprochen angenehm«, antwortete sie auf seine Frage nach dem Verlauf des Abends. Dabei merkte sie überrascht, dass das weitgehend ihrer wahren Meinung entsprach. Es war schon lange her, dass sie an einer Abendgesellschaft von so hohem Niveau teilgenommen hatte, bei der zugleich ganz allgemein eine gewisse Leichtigkeit der Atmosphäre geherrscht hatte. In Bezug auf die bessere Gesellschaft schien es ihr keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen Dublin und London zu geben.
    Sie konzentrierte sich auf das reichhaltige Frühstück, das vor ihr stand. Es war weit mehr, als sie brauchte, um sich bei guter Gesundheit zu erhalten.
    »Die Leute waren äußerst freundlich zu mir«, fügte sie hinzu.
    »Unsinn«, gab er gelassen zurück.
    Von seiner Schroffheit überrascht, hob sie den Blick.
    Er lächelte, doch im klaren Licht des Vormittags war außer der Müdigkeit auf seinem Gesicht deutlich etwas zu erkennen, was Furcht sein mochte. Ihre Entschlossenheit, ihm nicht die Wahrheit zu sagen, geriet ins Wanken. Es gab so manches, was sie an ihm nicht deuten konnte, doch die ausgeprägten Falten in seinem Gesicht und die tief in ihren Höhlen

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