Der Verräter von Westminster
liegenden Augen zeigten, wie es wahrhaft um ihn stand.
»Schön«, gab sie nach. »Sie waren gastfreundlich, und ein gewisser Glanz des Ereignisses war sehr angenehm. Trifft es das besser?«
Er war belustigt. Zwar reagierte er nicht mit einem so offenkundigen Signal wie einem Lächeln, doch begriff sie auch so.
» Wen hast du kennengelernt? Natürlich abgesehen von Fiachra.«
»Kennst du ihn schon lange?«, fragte sie zurück, während sie sich mit einem leichten Schauder an McDaids Worte erinnerte.
» Warum willst du das wissen?« Er nahm eine weitere Scheibe Toast und bestrich sie mit Butter. Er hatte noch nicht viel gegessen, und sie fragte sich, ob er überhaupt geschlafen hatte.
»Nun, er scheint durchaus bereit, dir weiterzuhelfen«, erklärte sie, »und er hat mich in Bezug auf dich nach nichts gefragt. «
»Er ist ein guter Freund«, sagte er und sah ihr dabei gerade in die Augen.
Sie lächelte. »Unsinn«, sagte sie im selben Ton wie zuvor er.
»Stimmt«, bestätigte er. »Aber wir kennen einander wirklich schon lange.«
»Kann es sein, dass Irland von Menschen wimmelt, die du schon lange kennst?«
Er strich ein wenig Orangenmarmelade auf seinen Toast.
Sie wartete.
»Ja«, sagte er. »Aber von den meisten weiß ich nicht, auf welcher Seite sie stehen.«
»Wofür brauchst du eigentlich mich, wenn dieser McDaid dein Freund ist?«, fuhr sie mit schonungsloser Offenheit fort. Benutzte er sie etwa dazu, andere abzulenken, während er sich bemühte, die Probleme allein zu lösen? Mit einem Mal kam ihr ein noch entsetzlicherer Gedanke: Vielleicht wollte er nicht, dass sie in London war, wo sich Pitt mit ihr in Verbindung setzen könnte. Wie verwickelt war diese ganze Geschichte eigentlich und wie widerwärtig? Wo mochte sich das unterschlagene Geld gegenwärtig befinden? Ging es wirklich um Geld und nicht in Wahrheit um die Begleichung alter Rechnungen, um Rache? Oder ging es um beides?
Es war dringender nötig denn je, die Wahrheit zu erfahren, oder zumindest alles, was nach wie vor seinen Schatten auf die Gegenwart warf.
Er hatte ihr keine Antwort gegeben.
»Ist es nicht so, dass du mich oder sogar uns beide benutzt und großzügig mit der Wahrheit umgehst?«, hielt sie ihm vor.
Er zuckte zusammen, als habe sie ihn nicht nur seelisch getroffen, sondern auch körperlich. »Ich belüge dich nicht, Charlotte. « Seine Stimme war so leise, dass sie sich ein wenig vorbeugen musste, um zu verstehen, was er sagte. »Ich wähle … nur sehr sorgfältig aus, einen wie großen Teil der Wahrheit ich dir sage …«
»Und worin besteht da der Unterschied?«, erkundigte sie sich.
Er seufzte. »Du bist eine gute Kriminalistin – auf deine ganz besondere Weise beinahe so gut wie dein Mann –, aber die Arbeit im Sicherheitsdienst ist von gänzlich anderer Art als die Ermittlung in einem gewöhnlichen Mordfall.«
»Nicht alle Mordfälle sind gewöhnlich«, widersprach sie. »Liebe und Hass der Menschen lassen sich nur äußerst selten unter diesem Begriff fassen. Die Menschen töten einander aus allen möglichen Gründen, meist aber, um etwas zu schützen, etwas zu bekommen, was ihnen wahrhaft am Herzen liegt, oder um sich für eine Herabsetzung oder Verletzung zu rächen, die sie andernfalls nicht ertragen könnten. Damit meine ich nicht unbedingt körperliche Verletzungen. Seelische Wunden heilen mitunter weit schlechter.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, gab er zurück. »Ich hätte sagen sollen, dass die Bündnisse und Treuebeziehungen sehr viel kompliziertere Netze knüpfen. Geschwister können einander ebenso gut als Feinde gegenüberstehen wie Mann und Frau. Genauso kann es sein, dass Rivalen einander helfen oder gar einer für den anderen in den Tod geht, weil sie derselben Sache dienen.«
»Und dabei werden Unschuldige, die es zufällig trifft, ebenso zu Opfern wie die Schuldigen«, wiederholte sie McDaids Worte. »Meine Rolle ist recht einfach. Ich würde dir gern beistehen, sehe mich aber durch alles in meinem Wesen dazu verpflichtet, in erster Linie meinem Mann zu helfen und natürlich auch mir selbst …«
»Ich hatte gar nicht gewusst, dass du so nüchtern und praktisch denkst«, sagte er mit einem angedeuteten Lächeln.
»Für mich als Frau mit begrenzten Geldmitteln, die für ihre Kinder sorgen muss, ist ein gewisses Maß an Nüchternheit und praktischem Denken unabdingbar.« Sie sagte das mit freundlicher Stimme, um ihn mit ihren Worten nicht zu kränken.
»Dann wirst du verstehen,
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