Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
geschmeichelt fühlte?«, fragte sie in herausforderndem Ton.
    »Nein, Sie haben Recht«, räumte er ein. »Wir müssen gemeinsame Bekannte haben – irgendeine hochachtbare Tante, würde ich sagen. Haben Sie solche Verwandten?«
    »Meine angeheiratete Großtante, Lady Vespasia Cumming-Gould. Wenn die Sie mir empfohlen hätte, würde ich Sie ohne das geringste Zögern an jeden beliebigen Ort auf der Welt begleiten«, gab sie zurück.
    »Das klingt nach einer bezaubernden Dame.«
    »Das ist sie auch. Sie können mir glauben. Wenn Sie wirklich mit ihr zusammengetroffen wären, würden Sie nicht wagen, mich anders als mit der größten Achtung zu behandeln.«
    »Wie heißt diese bemerkenswerte Dame, und wo habe ich sie kennengelernt?«
    »Lady Vespasia Cumming-Gould. Der genaue Ort ist unerheblich. Sie würden jede Umgebung sogleich vergessen, wenn Sie sie sehen würden. London genügt voll und ganz.«
    »Lady Vespasia Cumming-Gould«, sagte er in einem Ton, als ließe er sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Den Namen muss ich schon einmal gehört haben.«

    »Sie hat in ganz Europa Aufsehen erregt«, teilte sie ihm mit. »Ihnen muss klar sein, dass sie von unbestimmtem Alter ist, aber ihr Haar ist silberfarben, und sie hat einen Gang wie eine Königin. Sie war die schönste und aufregendste Frau ihrer Generation. Wenn Sie das nicht wissen, ist sofort klar, dass Sie ihr nie begegnet sind.«
    »Ich bin zutiefst enttäuscht, dass es mir nicht vergönnt war.« Er bot ihr den Arm, und sie schritten die Treppe hinab. Im Foyer hatte sich bereits ein großer Teil des Publikums versammelt, um Bekannte zu begrüßen und Kommentare über das Gesehene abzugeben.
    Nach einigen weiteren Minuten angeregten Plauderns stellte McDaid sie einem ungewöhnlich großen Mann namens Ardal Barralet sowie einer Dame namens Dolina Pearse vor, die durch ihr wild gelocktes Haar auffiel. Neben den beiden stand Cormac O’Neil, doch war offensichtlich, dass er nicht in ihrer Gesellschaft war.
    »Ach, da ist ja O’Neil!«, sagte McDaid mit einer Stimme, die überrascht klang. »Ich habe Sie ewig lange nicht gesehen. Wie geht es denn?«
    Barralet wandte sich um, als habe er O’Neil nicht gesehen, der so dicht neben ihm stand, dass sich ihre Frackschöße berührten.
    »’n Abend, O’Neil. Gefällt Ihnen das Stück? Hinreißend, finden Sie nicht auch?«, sagte er im Plauderton.
    O’Neil blieb nichts anderes übrig, als darauf einzugehen, wenn er den Mann nicht offen vor den Kopf stoßen wollte.
    »Grandios«, sagte er und sah Barralet an. Seine tiefe Stimme klang äußerst gepflegt, als sei auch er ein Schauspieler, der die Wörter liebkoste, indem er sie aussprach. Ohne zu Charlotte hinzusehen, begrüßte er ihre Nachbarin mit den Worten »Guten Abend, Mrs Pearse.«
    »Guten Abend, Mr O’Neil«, gab sie kalt zurück.

    »Natürlich kennen Sie Fiachra McDaid«, füllte Barralet das plötzlich eingetretene Schweigen. »Aber vielleicht nicht Mrs Pitt? Sie ist erst seit kurzem in Dublin.«
    »Schön, Sie zu sehen, Mrs Pitt«, sagte O’Neil höflich, doch ohne jede Spur von Interesse, und sah dann McDaid mit einem plötzlich aufflammenden Ausdruck an, den Charlotte nicht zu deuten vermochte.
    McDaid erwiderte seinen Blick gelassen, und der Moment war vorüber.
    Charlotte fragte sich, ob sie das gesehen oder es sich nur eingebildet hatte.
    » Was führt Sie hierher, Mrs Pitt?«, erkundigte sich Dolina Pearse, unübersehbar aus dem Wunsch heraus, die Situation zu entspannen, indem sie das Thema wechselte. Weder in ihrer Stimme noch auf ihrem Gesicht lag der geringste Anflug von Interesse.
    »Ich habe viel Gutes über die Stadt Dublin gehört«, gab Charlotte zurück, »und den Entschluss gefasst, angenehme Dinge in Zukunft nicht aufzuschieben, wenn sie sich sofort erledigen lassen.«
    »Typisch englisch«, murmelte Dolina, »und ausgesprochen wohlerzogen«, fügte sie hinzu, als langweile sie das entsetzlich.
    Charlotte spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Sie sah die Frau an und erklärte: »Wenn es als wohlerzogen gilt, nach Dublin zu kommen, hat man mich falsch informiert. Ich hatte gehofft, dass es vergnüglich sein würde.«
    McDaid lachte laut heraus, offensichtlich von dieser Parade höchst belustigt. »Es kommt ganz darauf an, worin man seine Vergnügungen sucht, meine Liebe. Oscar Wilde, der arme Kerl, ist natürlich einer von uns und hat die Welt zum Lachen gebracht. Jahrelang haben wir versucht, die Engländer so gut nachzuahmen, wie wir

Weitere Kostenlose Bücher