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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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konnten. Jetzt endlich sind wir dabei,
uns selbst zu finden, und füllen unsere Theaterstücke mit Kummer, Poesie und Dreifachbedeutungen. Man kann sich dann immer diejenige aussuchen, die zur jeweiligen Stimmung passt. Hinter den meisten aber stehen Verderben und Untergang, so, als wäre das Buch unseres Schicksals mit Blut geschrieben. Wenn wir lachen, dann über uns selbst, und Ihnen als Außenstehender erscheint es möglicherweise als unhöflich, mit einzustimmen. «
    »Das erklärt eine ganze Menge«, sagte Charlotte und dankte ihm mit einem leichten Neigen des Kopfes. Ihr war klar, dass O’Neil sie beobachtete, möglicherweise, weil sie die Einzige in der Gruppe war, die er nicht kannte. Sie wollte unbedingt auf irgendeine Weise mit ihm ins Gespräch kommen, war er doch derjenige, von dem Narraway vermutete, dass er die ganze unselige Sache angezettelt hatte. Was nur konnte sie sagen, was nicht gezwungen klang? Sie sah ihn offen an, damit er sich genötigt fühlte, ihr entweder zuzuhören oder sie offen zu brüskieren.
    »Möglicherweise war der Ausdruck ›vergnüglich‹ etwas unbedacht«, sagte sie halb entschuldigend. »Ich würze mein Vergnügen gern mit einer Prise Nachdenklichkeit und gelegentlich auch mit dem einen oder anderen schwer zu lösenden Rätsel, um den Genuss zu verlängern. Ein Theaterstück, bei dem man gleich alles versteht, ist oberflächlich, finden Sie nicht auch?«
    Seine harten Züge wurden ein wenig weicher. » Wenn das so ist, werden Sie Irland als glückliche Frau verlassen«, teilte er ihr mit. »Bestimmt werden Sie uns nicht in einer Woche oder einem Monat verstehen, wahrscheinlich nicht einmal in einem ganzen Jahr.«
    » Weil ich Engländerin bin? Oder weil die Iren so schwer zu verstehen sind?«, setzte sie nach.
    »Weil wir uns meistens selbst nicht verstehen«, gab er mit leichtem Schulterzucken zurück.

    »Das gilt für uns alle«, erwiderte sie. Jetzt sprachen sie miteinander, als sei sonst niemand anwesend. »Nur langweilige Menschen glauben, sie seien leicht zu verstehen.«
    »Man kann langweilig sein, indem man stets laut versucht, sich selbst zu verstehen.« Er lächelte, wobei sich der Ausdruck seines Gesichts vollständig veränderte. »Aber wir tun es auf poetische Weise. Auf die Nerven geht man anderen erst, wenn man anfängt, sich zu wiederholen.«
    »Aber wiederholt sich die Geschichte nicht ständig selbst, so, wie in der Musik Variationen ein Thema wieder aufnehmen? «, fragte sie. »Jede Generation, jeder Künstler, fügt eine andere Note hinzu, doch die Grundmelodie bleibt dieselbe. «
    »Die Englands ist in Dur geschrieben.« Er verzog den Mund, während er das sagte. »Viel Blech und Schlagzeug. Die von Irland hingegen in Moll – Holzbläser und verklingende Akkorde. Vielleicht hier und da ein Violinsolo.« Er sah sie aufmerksam an, als spielten sie ein Spiel, bei dem einer gewinnen und der andere verlieren würde. War ihm bereits bekannt, wer sie war? Wusste er, dass sie mit Narraway gekommen war und warum?
    Sie versuchte diese Überlegung als absurd von sich zu weisen, dann aber fiel ihr ein, dass jemand Narraway bereits überlistet hatte. Das durfte man als durchaus bemerkenswerte Leistung ansehen, denn dafür war außer dem glühenden Wunsch nach Rache eine hohe Intelligenz erforderlich. Vor allem aber waren, um das Geld auf Narraways Bankkonto zu überweisen, Verbindungen zu Lisson Grove nötig, und zwar zu Leuten in einflussreicher Position, die darüber hinaus bereit waren, ihrem Vorgesetzten in den Rücken zu fallen. Dieser Gedanke ließ sie vor Furcht erstarren.
    Mit einem Mal erschien ihr die Sache weitaus bedrohlicher als bisher. Während sie zögerte weiterzusprechen, merkte sie,
dass Dolina Pearse inzwischen ebenfalls erwartungsvoll zu ihr hersah.
    »Ich finde immer, dass die Violine der menschlichen Stimme sehr ähnlich klingt«, sagte Charlotte mit einem Lächeln. »Sie nicht auch, Mr O’Neil?«
    Einen Augenblick lang flackerte in seinem Blick Überraschung auf. Offensichtlich war er auf eine andere Äußerung gefasst gewesen, möglicherweise eine, mit der sie sich gegen ihn zur Wehr setzte. »Haben Sie nicht damit gerechnet, dass die Stimme der Helden Irlands menschlich klingt?«, fragte er. Der Blick seiner Augen zeigte, dass er diesen melodramatischen Hinweis nur halb ernst meinte.
    »Nicht unbedingt«, gab sie zurück, wobei sie es vermied, McDaid oder Dolina Pearse anzusehen. »Ich hatte eher an etwas Heroisches, wenn nicht gar

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