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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sagen.
    Auch O’Neil schien gespannt auf ihre Antwort zu warten.
    »Mir gefällt das Ganze. Es ist für mich ein wirkliches Erlebnis«, gab sie diplomatisch zurück. »Ich bin Ihnen außerordentlich
dankbar dafür, dass Sie mich hierher mitgenommen haben – zum einen, weil ich unmöglich hätte allein kommen können, und zum anderen, weil ich es dann als nicht annähernd so angenehm empfunden hätte.«
    »Es freut mich, dass es Ihnen zusagt«, sagte McDaid mit einem Lächeln. »Ich war nicht sicher, ob es die richtige Wahl war, denn das Stück endet mit einem düsteren und schrecklichen Höhepunkt. Sie werden möglicherweise nicht viel davon verstehen.«
    »Ist das die Absicht«, fragte sie, wobei sie den Blick zwischen den beiden Männern hin und her wandern ließ, »uns alle so sehr zu verwirren, dass wir Wochen oder gar Monate damit zubringen müssen herauszubekommen, welche Bedeutung wirklich dahintersteckt? Vielleicht finden wir dann ein halbes Dutzend verschiedener Möglichkeiten.«
    Flüchtig trat ein Ausdruck von Überraschung und Bewunderung in McDaids Augen. In munterem Ton gab er zurück: »Es kann sein, dass Sie uns überschätzen, zumindest in diesem Fall. Ich nehme kaum an, dass die Gedankengänge des Autors so kompliziert waren.«
    »An welche Möglichkeiten hatten Sie denn gedacht?«, erkundigte sich O’Neil mit leiser Stimme und in einem Ton, als handele es sich lediglich um eine Pausenplauderei. Allerdings nahm sie an, dass er darauf aus war, mit dieser Frage etwas zu ergründen.
    »Fragen Sie mich in einem Monat noch einmal, Mr O’Neil«, sagte sie leichthin. »Natürlich liegt Wut darin, das kann jeder merken. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es um eine Art Vorbestimmung geht, so, als gebe es für uns alle keine rechte Wahl und als sei unsere Handlungsweise von Geburt an vorgegeben. Mir sagt das nicht zu. Ich möchte nicht den Eindruck haben, dass … mich die Schicksalsmächte auf diese Weise beherrschen.«

    »Sie sind Engländerin. Ihre Leute halten sich gern für die Herren der Geschichte. Wir in Irland haben gelernt, dass die Geschichte uns beherrscht«, erwiderte er. Auch wenn sich die Bitterkeit in seiner Stimme mit leichtem Spott und Lachen vermengte, war der Schmerz darin unverkennbar.
    Es lag ihr auf der Zunge, ihm zu widersprechen, doch dann begriff sie, welche Gelegenheit sich ihr da bot. »Wirklich? Wenn ich das Stück richtig verstehe, geht es um eine gewisse allgemeingültige Unausweichlichkeit in der Liebe und im Verrat – eine Art düsteres und auf Urzeiten zurückgehendes Thema ähnlich dem in Romeo und Julia.«
    O’Neils Gesichtszüge spannten sich an, und selbst im Lampenlicht des von Menschen erfüllten Raumes konnte Charlotte sehen, dass er erbleichte. »Sehen Sie das darin?« Seine Stimme klang belegt, er schien beinahe an seinen Worten zu ersticken. »In dem Fall romantisieren Sie das Ganze, Mrs Pitt.« Jetzt war die Bitterkeit in ihm überwältigend, das merkte sie deutlich.
    »Ach ja?«, fragte sie und tat einen Schritt beiseite, damit ein Paar passieren konnte, das Arm in Arm vorüberkam. Dabei trat sie absichtlich näher an O’Neil heran, als erforderlich war, um Platz zu machen, so dass er nicht hätte fortgehen können, ohne sie aus dem Weg zu schieben. »Welche härtere Wirklichkeit müsste ich erkennen? Rivalität zwischen verfeindeten Parteien, zerrissene Familien, unerfüllte Liebe, Verrat und Tod? Ich halte das nicht für wirklich romantisch, außer natürlich für uns Zuschauer im Theater. Für die davon Betroffenen dürfte es alles andere als das sein.«
    Er sah sie mit einer Art schwarzer Verzweiflung in seinen tief liegenden Augen an. Es fiel ihr leicht zu glauben, dass Narraway mit seiner Vermutung Recht hatte und O’Neil seinen Hass zwanzig Jahre lang genährt hatte, bis ihm das Schicksal eine Möglichkeit zur Rache aufgezeigt hatte. Aber was war der Auslöser gewesen, was hatte sich verändert?

    »Und als was sehen Sie sich, Mrs Pitt?«, fragte er dicht neben ihr so leise, dass McDaid es nahezu mit Sicherheit nicht hören konnte. »Sind Sie Zuschauerin oder Mitwirkende? Ist der Zweck Ihres Hierseins, sich das Blut und die Tränen Irlands anzusehen – oder sich in die Sache einzumischen, wie Ihr Freund Narraway?«
    Sie war wie vor den Kopf geschlagen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Einen Augenblick lang waren die Gespräche der Menge um sie herum nichts anderes als ein Lärmteppich, den ebenso gut eine Gänseherde hätte erzeugen

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