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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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in Lisson Grove Recht hatte, würde eine der ersten Amtshandlungen jenes Menschen darin bestehen, Pitt kaltzustellen. Wenn er Glück hatte, würde man ihn einfach entlassen, doch es gab weit schlimmere Möglichkeiten. Einige davon gingen Narraway durch den Kopf, während die Tür geöffnet wurde. Man führte ihn in einen kleinen, entsetzlich stickigen Büroraum voller Hauptbücher, Rechnungsbücher und Stapel loser Blätter. Eine getigerte Katze hatte es sich vor dem Kaminfeuer bequem gemacht und rührte sich nicht, als er eintrat und sich setzte.
    O’Casey saß hinter dem überladenen Schreibtisch, sein kahler Schädel glänzte im Licht der Gaslampe.
    »Nun?«, fragte Narraway, bemüht, seine Ungeduld zu verbergen, so gut es ging.
    O’Casey zögerte.
    Narraway überlegte, ob er dem Mann drohen sollte. Ihm standen durchaus noch gewisse Machtmittel zur Verfügung, wenn sie auch jetzt nicht mehr durch die Gesetze gedeckt wurden. Er sog die Luft ein. Dann sah er erneut zu O’Casey hin und überlegte es sich anders. Er hatte wenig genug Freunde, da konnte er es sich nicht leisten, es sich mit einem von ihnen zu verderben.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte O’Casey mit leicht schief gelegtem Kopf. »Um der alten Zeiten willen will ich Ihnen helfen. Aber nicht mehr, als ich unbedingt muss, und das ist wenig genug. Und dann muss Schluss sein.«
    »Ist mir klar«, gab ihm Narraway Recht. Es gab auf beiden Seiten Wunden und Schulden, die zum Teil noch nicht beglichen
waren. »Ich muss wissen, was sich bei Cormac O’Neil geändert hat …«
    »Lassen Sie den armen Mann doch um Gottes willen in Ruhe! Haben Sie ihm nicht schon alles genommen, was er hatte?«, rief O’Casey aus. »Sie sind doch wohl nicht auf das Kind aus, oder?«
    »Das Kind?« Einen Augenblick verstand Narraway nicht. Dann kam ihm die Erinnerung – Kates und Seans Tochter. Sie war beim Tod ihrer Eltern erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen. »Hat Cormac sie aufgezogen?«, fragte er.
    »Natürlich nicht.« O’Casey warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Was hätte er denn mit einem sechsjährigen Mädchen anfangen sollen? Eine Kusine von Kate, ich glaube, sie hieß Maureen, hat sie zu sich genommen. Sie und ihr Mann. Sie haben sie als ihr eigenes Kind aufgezogen.«
    Narraway empfand tiefes Mitleid mit dem Mädchen – Kates Tochter. Das hätte nie geschehen dürfen.
    »Aber sie weiß, wer sie ist?«, fragte er.
    »Selbstverständlich. Wenn sonst schon niemand, hat Cormac es ihr bestimmt gesagt.« O’Casey hob leicht die Schultern. »Es kann natürlich gut sein, dass das nicht die Wahrheit ist, wie Sie sie kennen. Das arme Kind. Manche Dinge bleiben besser ungesagt.«
    Unwillkürlich überlief Narraway ein Schauder. An Kates Tochter hatte er nicht gedacht. Der Ausbruch von Gewalttätigkeit, dem man nicht mehr hätte Einhalt gebieten können, hatte so unmittelbar bevorgestanden, dass er nicht daran gedacht hatte, zu verhindern, was dann geschehen war. Er hatte nicht mit der Möglichkeit gerechnet, dass Kate sterben würde, es war nie Teil von ihrer beider Plan gewesen. Er hatte Sean gekannt. Ihn im Kampf gegen den Aufruhr zu hintergehen war eine Sache gewesen, eine gänzlich andere, ihn in Bezug auf Kate zu hintergehen.

    Im Rückblick hatte er schon nach wenigen Wochen begriffen, dass Kate die Seiten gewechselt hatte, weil der Aufstand ihrer festen Überzeugung nach zum Scheitern verurteilt war und dabei weit mehr Iren als Engländer umgekommen wären. Aber sie hatte auch Sean gekannt. Er hatte nicht das Geringste dabei gefunden, sich ihrer Schönheit zu bedienen, um Narraway abzulenken, doch wäre er in seinen wildesten Träumen nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie sich Narraway bereitwillig hingeben oder er ihr, schlimmer noch, etwas bedeuten könnte.
    Als es dann dazu gekommen war, hatte sich Sean außerstande gesehen, ihr zu verzeihen. Er hatte gesagt, er habe sie für Irland umgebracht, aber Narraway wusste, dass er es um seiner selbst willen getan hatte und ihm selbst das auch klar gewesen war.
    Und Cormac? Er hatte Kate ebenfalls geliebt. Hatte er den Eindruck gewonnen, in einem Kampf, den keine der beiden Seiten mit sauberen Mitteln führte, habe ein Engländer einen Iren an Verschlagenheit übertroffen? Oder hatte es daran gelegen, dass eine Frau, die er begehrte, aber nicht bekommen konnte, ihren Mann betrogen hatte: die Frau seines Bruders, die sich auf die Seite des Feindes geschlagen hatte – aus Gründen, die nur ihr bekannt

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