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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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können. War es sinnvoll, die Verbindung zu ihm abzustreiten? Sicherlich würde es lächerlich wirken, wenn sie sich jetzt unwissend gebärdete.
    »Ich wäre gern so etwas wie ein Deus ex Machina«, gab sie zurück. »Aber ich nehme an, dass dergleichen unmöglich ist.«
    »Der Gott aus der Maschine wie im römischen Theater?«, fragte er ärgerlich. »Sie wollen also im letzten Akt auf die Bühne herabsteigen und einen unmöglichen Schluss bewirken, der dafür sorgt, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst? Wie englisch Sie sind! Es ist geradezu absurd und unglaublich überheblich. Sie kommen zwanzig Jahre zu spät. Sagen Sie das Victor Narraway, wenn Sie ihn sehen. Hier gibt es nichts mehr auszubügeln.« Er wandte sich ab, bevor sie den Mund auftun konnte, und drängte sich an ihr vorüber. Weil er dabei gegen einen breitschultrigen Mann in einem blauen Jackett stieß, verschüttete er den Rest seines Whiskeys. Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
    Charlotte sah, dass McDaid mit dem Ausdruck eines gewissen Unbehagens neben sie trat.
    »Es tut mir leid«, bat sie um Entschuldigung. Es hatte keinen Sinn, nach einer Erklärung zu suchen. Gründe spielten keine Rolle, und sie wusste nicht, inwieweit McDaid mit Narraways gegenwärtiger Schwierigkeit oder der Rolle vertraut war,
die er vor so langer Zeit in der Tragödie von O’Neils Leben gespielt hatte. »Ich habe meine Ansichten wohl etwas zu freimütig ausgedrückt.«
    Er biss sich auf die Lippe. »Sie konnten das nicht wissen, aber Themen wie die Freiheit Irlands und Verräter an der Sache gehen O’Neil schmerzhaft nahe. Angehörige seiner Familie waren vor zwanzig Jahren verantwortlich für den Fehlschlag unseres großen Vorhabens.« Er zuckte die Achseln. »Was da im Hintergrund wirklich abgelaufen ist, haben wir nie erfahren. Sean O’Neil ist gehängt worden, weil er seine Frau Kate umgebracht hat. Es hieß immer, er habe das getan, weil sie den Engländern unsere Pläne verraten hatte, doch ist so mancher der Ansicht, in Wahrheit habe er sie mit einem anderen Mann ertappt. Wie auch immer sich das verhalten mag, wir haben wieder einmal versagt, und die Bitterkeit dieser Niederlage dauert bis in die Gegenwart an.«
    Mord und der Strang. Kein Wunder, dass O’Neil verbittert war und der Kummer nie endete – und Narraway nach wie vor ein Schuldgefühl empfand, das schwer auf ihm lastete.
    »Hatten Sie einen Aufstand geplant?«, fragte sie ruhig. Sie hörte die vielen Leute um sich herum.
    »Natürlich«, gab McDaid mit einer Stimme zurück, die betont jeden Ausdruck vermied, so dass sie gekünstelt klang. »Damals lag die Selbstbestimmung für unser Volk in der Luft, die wir atmeten. Wir hätten wir selbst sein können, ohne den Mühlstein England um den Hals.«
    »Sehen Sie das so?« Mit diesen Worten wandte sie sich ihm zu und sah ihn forschend an.
    Sein Gesichtsausdruck entspannte sich, und er erwiderte ihr Lächeln, betrübt und ein wenig selbstironisch. »Damals jedenfalls habe ich es so gesehen, und immer wenn ich Cormac sehe, kommt mir die ganze Situation ins Gedächtnis. Jetzt
aber bin ich nicht mehr so hitzköpfig wie damals. Es gibt bessere Möglichkeiten, seine Energien einzusetzen – und für lohnendere Ziele.« Sie nahm die Geräusche und die Farben um sich herum wahr. Sie standen in einer der interessantesten Hauptstädte der Welt inmitten von Menschen, die gekommen waren, um einen Theaterabend zu genießen. Sicherlich hatten einige dieser Männer und Frauen den Eindruck, in ihrem eigenen Land unter einer Fremdherrschaft zu leben, und sicher war der eine oder andere von ihnen bereit zu töten und zu sterben, um das Joch der Unterdrückung abzuwerfen. Obwohl sie genau wie diese Menschen aussah, die gleiche Farbe von Haut und Haar hatte, gehörte sie nicht dazu, unterschied sich von ihnen in Herz und Sinn.
    »Und was für Ziele wären das?«, fragte sie mit aufrichtigem Interesse.
    Sein Lächeln wurde breiter, als wolle er damit die Frage abtun. »Die Reform längst überholter Gesetze und die Abschaffung gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten«, gab er zurück. »Mehr Gleichheit. Zweifellos sind es dieselben, für die Sie in Ihrer Heimat kämpfen. Wie ich höre, gibt es in London einige bemerkenswerte Frauen, die sich für allerlei Bestrebungen dieser Art einsetzen. Vielleicht werden Sie mir eines Tages über die eine oder andere etwas berichten?« Er sagte das in fragendem Ton, als sei ihm an einer Antwort gelegen.
    »Gern«, sagte sie

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