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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte jetzt den Horizont erreicht und würde binnen weniger Minuten nicht mehr zu sehen sein. Bis er die Stadt erreichte, würde es so gut wie dunkel sein. Bis er an ihrer Pension ankam, blieb etwa eine Viertelstunde, sich zu entscheiden, was er tun wollte. Ein winziger Fehler, ein falsches Wort konnte sein Ende bedeuten.
    Er dachte an die wilde Jagd durch das East End, in deren Verlauf sie schließlich den Bahnhof erreicht hatten. Selbstkritisch gestand er sich ein, dass er es Gower äußerst leicht gemacht hatte, ihn an der Nase herumzuführen. Immer wieder hatte Gower es verstanden, zu erreichen, dass sie Wrexhams Fährte nicht vollständig verloren, und die Sache dennoch als echte Verfolgungsjagd darzustellen. Wann immer sie den Mann kurz aus den Augen verloren hatten, war es stets Gower gewesen, der die Spur wiedergefunden hatte. Er hatte Pitt mit dem Hinweis, wie nützlich es sein könne, Wrexham zu beschatten, um mehr zu erfahren, daran gehindert, ihn festzunehmen. Auch hatte Gower genug Geld in der Tasche
gehabt, um für sich selbst die Überfahrt mit der Fähre zu bezahlen.
    Und hatte nicht auch Gower gesagt, er habe Linsky und Meister gesehen – und Pitt hatte ihm geglaubt?
    War Wrexham in den Plan eingeweiht gewesen, Pitt aus London wegzulocken? Hatte er genau gewusst, was er tat, und die Gründe dafür gekannt? Warum aber hatte er dann nicht auch West getötet? War seine Angst, waren seine Bedenken zu groß gewesen? Hatte man ihm nicht genug dafür geboten?
    Ganz offensichtlich musste Pitt umgehend nach London zurück. Die Frage war nur, was er Gower sagen, welchen Grund er dafür angeben sollte. Gower würde wissen, dass keine Mitteilung aus Lisson Grove gekommen war, denn die hätte man ihnen ins Haus gebracht. Pitt konnte auch nicht so tun, als habe er sie am Postamt abgeholt, denn Gower brauchte lediglich dort nachzufragen, um festzustellen, dass das nicht der Wahrheit entsprach.
    Die Sonne stand jetzt als leuchtender orangefarbener Halbkreis über dem lila flammenden Horizont. Die Schatten, die auf die Straße fielen, wurden allmählich dunkler.
    Sollte Pitt versuchen, Gower zu entkommen, indem er einfach zum Hafen ging und dort die nächste Fähre nach Southampton nahm? Die kam aber möglicherweise erst am nächsten Morgen. Bis dahin würde Gower begreifen, was geschehen war, und irgendwann in der Nacht nach ihm suchen. Außerdem trug Pitt wegen des warmen Nachmittags nur ein leichtes Jackett; seine warmen Sachen waren in der Pension.
    Der Gedanke, an Ort und Stelle den Kampf gegen Gower aufzunehmen, war abwegig. Sogar wenn es ihm gelang, ihn zu besiegen – und das war äußerst zweifelhaft, denn Gower war jünger und außerordentlich gestählt –, was würde er dann mit ihm tun? Er hatte keine Möglichkeit, ihn festzunehmen. Würde er ihn gefesselt und geknebelt im Zimmer liegenlassen
und dann die Flucht antreten können – vorausgesetzt, er konnte ihn trotz allem überwinden?
    Aber sicherlich verfügte Gower am Ort über Helfer. Dieser Gedanke ernüchterte Pitt wie ein Guss kalten Wassers. Wie viele der Menschen in Frobishers Haus waren in den Plan eingeweiht? Die einzige Möglichkeit, die Pitt hatte, bestand darin, Gower zu täuschen, ihn in dem Glauben zu lassen, er hege keinerlei Verdacht. Das aber würde alles andere als einfach sein. Die geringste Änderung in seinem Verhalten würde ihn verraten. Eine leichte Befangenheit, ein Zögern, ein zu sorgfältig gewählter Ausdruck, und Gower würde merken, dass Pitt ihn und seine Machenschaften durchschaut hatte.
    Wie nur konnte er begründen, dass sie nach London zurückkehren mussten? Welcher Vorwand würde Gower glaubhaft erscheinen?
    Oder sollte er sagen, er werde allein zurückkehren und Gower solle am Ort bleiben, um weiterhin Frobisher und Wrexham zu beschatten, für den Fall, dass etwas an der Sache war? Für den Fall, dass Meister oder Linsky zurückkehrten? Oder einer der anderen, den Gower erkennen konnte? Dieser Einfall erleichterte ihn unaussprechlich. Es kam ihm vor, als befände er sich schon auf der Flucht in die Freiheit. Er würde allein und in Sicherheit sein, während Gower in Frankreich bliebe.
    Im nächsten Augenblick verachtete er sich wegen seiner Feigheit. Als er in jungen Jahren angefangen hatte, auf den Straßen Londons Streife zu gehen, war er auf ein gewisses Maß an Gewalttätigkeit gefasst gewesen und damit auch tatsächlich hin und wieder in Berührung gekommen. Es hatte eine Reihe wilder Verfolgungsjagden

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