Der Verrat
meine Liebe zum Geld verloren. Geld ist des Teufels.«
»Wie originell. Ich will dich was fragen: Was wirst du tun, wenn du eines Tages aufwachst und, sagen wir mal, sechzig bist und auf einmal merkst, dass du es leid bist, die Welt zu retten, weil die nämlich gar nicht gerettet werden kann.
Und du hast nichts, keinen Cent auf dem Sparbuch, keine Kanzlei, keine Teilhaber, keine Frau, die als Gehirnchirurgin das große Geld verdient, keinen, der dich auffängt. Was wirst du dann tun?«
»Tja, darüber habe ich auch nachgedacht, und ich glaube, ich werde einen großen Bruder haben, der geradezu ekelhaft reich ist. Also werde ich dich anrufen.«
»Und wenn ich dann tot bin?«
»Du kannst mich ja in deinem Testament bedenken. Den verlorenen Bruder.«
Wir widmeten uns wieder dem Essen, und die Unterhaltung stockte. Warner war überheblich genug zu glauben, dass eine einfache Zurechtweisung mich wieder zur Vernunft bringen würde. Ein paar klare Worte über die Konsequenzen meines Fehltritts, und ich würde diesen Armutstrip aufgeben und mir einen richtigen Job suchen. Ich konnte geradezu hören, wie er zu meinen Eltern sagte: »Ich werde mal mit ihm reden.«
Er hatte noch ein paar kleine Genickschläge auf Lager. Beispielsweise erkundigte er sich, wie hoch die Jahresprämie sei, die das Rechtsberatungsbüro in der 14th Street zahle. Recht klein, war meine Antwort. Und wie es mit dem Rentenplan aussehe? Soviel ich wusste, gab es keinen. Schließlich meinte er, ich solle ruhig ein paar Jahre lang >den Menschen dienern und anschließend wieder in die wirkliche Welt zurückkehren. Ich dankte ihm. Dann gab er mir noch den hervorragenden Rat, mich nach einer gleichgesinnten Frau mit Geld umzusehen und sie zu heiraten.
Wir verabschiedeten uns auf dem Bürgersteig vor dem Restaurant. Ich versicherte ihm, dass ich wisse, was ich täte. Ich würde schon zurechtkommen, und sein Bericht an unsere Eltern solle optimistisch ausfallen. »Sag ihnen nichts, worüber sie sich Sorgen machen würden, Warner. Sag ihnen, bei mir ist alles in Ordnung.«
»Ruf mich an, wenn du Hunger bekommst«, sagte er in dem Bemühen, witzig zu sein.
Ich winkte ab und ging.
Der Pylon Grill war ein die ganze Nacht geöffneter Coffeeshop in Foggy Bottom, nicht weit von der George Washington University. Es war ein Treffpunkt für Schlaflose und Nachrichtensüchtige. Die erste Ausgabe der Post kam kurz vor zwölf, und dann ging es hier zu wie in einem Restaurant zur Mittagszeit. Ich kaufte mir eine Zeitung und setzte mich an die Bar, die einen eigenartigen Anblick bot, weil jeder, der dort saß, in die Zeitung vertieft war. Mir fiel auf, wie ruhig es hier war. Die Post war gerade ausgeliefert worden, wenige Minuten, bevor ich eingetroffen war, und dreißig Leute studierten die neue Ausgabe, als wäre ein Krieg erklärt worden.
Die Story war wie gemacht für die Post. Sie begann unter einer großen Schlagzeile auf Seite eins und wurde auf Seite zehn fortgesetzt, wo auch die Fotos abgedruckt waren: eins von Lontae (dasselbe wie auf den beim Trauermarsch mitgeführten Plakaten), eins von Mordecai (zehn Jahre jünger) und drei, die die obere Etage bei Drake & Sweeney besonders demütigen würden. In der Mitte war ein Bild von Arthur Jacobs, rechts und links davon Polizeifotos von Tillman Gantry und Devon Hardy, der nur deswegen in der Story vorkam, weil er von der Zwangsräumung betroffen gewesen und auf spektakuläre Weise ums Leben gekommen war.
Arthur Jacobs und zwei Verbrecher, zwei afroamerikanische Kriminelle mit kleinen Nummern vor der Brust, einträchtig nebeneinander auf Seite zehn der Washington Post.
Ich sah sie vor mir, wie sie sich in Büros und Konferenzräumen versammelten, hinter verschlossenen Türen. Die Telefone waren ausgesteckt, andere Besprechungen abgesagt. Sie würden überlegen, wie sie reagieren sollten, sie würden hundert verschiedene Strategien entwickeln, sie würden ihre Public-Relations-Leute rufen. Es würde ihre dunkelste Stunde sein.
Der Fax-Krieg würde bald beginnen. Die Fotos würden im ganzen Land von Kanzlei zu Kanzlei geschickt werden, und überall würde man herzlich lachen.
Gantry sah äußerst bedrohlich aus, und bei dem Gedanken, dass wir uns mit ihm angelegt hatten, war mir unbehaglich zumute.
Und dann war da noch ein Foto von mir, dasselbe Foto, das man letzte Woche bei meiner Verhaftung gedruckt hatte. Ich wurde als die Verbindung zwischen der Kanzlei und Lontae Burton bezeichnet, auch wenn der
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