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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gut genug.«
    Warner hatte dieses Treffen geplant. Es gab einen Zweck, ein Ziel und eine Taktik, die ihn zu diesem Ziel führen würde. Ich wusste nur nicht, wie dieses Ziel lautete.
    »Letzte Woche bin ich verhaftet worden«, sagte ich. Es war ein Ablenkungsmanöver. Die Nachricht war schockierend genug, um ihn zu irritieren.
    »Du bist was?«
    Ich erzählte ihm die Geschichte in allen Einzelheiten, denn solange ich das tat, hatte ich dieses Gespräch unter Kontrolle. Er hieß meinen Diebstahl nicht gut, aber ich versuchte auch gar nicht, mein Tun zu verteidigen. Die Akte war ein weiteres schwieriges Thema, auf das sich keiner von uns einlassen wollte.
    »Dann hast du also alle Brücken zu Drake & Sweeney abgebrochen?« fragte er, als das Essen gekommen war.
    »Ja, für immer.«
    »Wie lange willst du Armenanwalt bleiben?«
    »Ich habe ja gerade erst angefangen und noch nicht darüber nachgedacht, ob und wann ich damit aufhören will. Warum?« >
    »Wie lange kannst du umsonst arbeiten?«
    »So lange, wie ich überleben kann.«
    »Dein Maßstab heißt also >Überleben    »Im Augenblick ja. Wie heißt deiner?« Es war eine lächerliche Frage.
    »Mein Maßstab heißt >Geld<. Wie viel ich verdiene, wie viel ich ausgebe, wie viel ich irgendwo bunkere, damit ich zusehen kann, wie es sich vermehrt, und damit ich eines Tages einen ganzen Haufen davon habe und mir keine Sorgen mehr machen muss.«
    Das kannte ich bereits. Schamlose Gier galt als etwas Bewundernswertes. Es war eine etwas gröbere Version dessen, was man uns als Kindern beigebracht hatte: Arbeite hart, verdiene viel Geld, dann wird auch die Gesellschaft als Ganzes irgendwie davon profitieren.
    Er forderte meine Kritik heraus, und das war nicht der Kampf, den ich wollte. Es konnte dabei keinen Gewinner geben, nur ein hässliches Unentschieden.
    »Wie viel hast du?« fragte ich ihn. Warner war gierig und stolz auf seinen Reichtum.

    »Mit vierzig werde ich eine Million in irgendwelchen Investmentfonds haben. Mit fünfundvierzig werden es drei sein. Und mit fünfzig habe ich zehn Millionen. Und dann höre ich auf.«
    Wir kannten diese Zahlen auswendig. Alle großen Kanzleien waren gleich.
    »Und du?« fragte er und zerlegte sein Freiland-Hähnchen.
    »Hm, wollen mal sehen. Ich bin zweiunddreißig und habe als Rücklage so um die fünftausend. Wenn ich hart arbeite und sparsam bin, werden es in drei Jahren zehntausend sein. Mit fünfzig könnte ich zwanzigtausend Dollar in irgendwelchen Investmentfonds haben.«
    »Na, dann hast du ja was, worauf du dich freuen kannst. Achtzehn Jahre in Armut.«
    »Was weißt du schon von Armut?«
    »Vielleicht mehr als du denkst. Für Leute wie uns ist Armut eine billige Wohnung, ein Gebrauchtwagen mit Dellen und Schrammen, schlecht sitzende Kleidung, kein Geld für Reisen, kein Geld zum Sparen oder Investieren, keine Rente, kein Sicherheitsnetz, nichts.«
    »Wunderbar. Du hast gerade bewiesen, dass du keine Ahnung hast, was Armut bedeutet. Wie viel verdienst du in diesem Jahr?«
    »Neunhunderttausend.«
    »Bei mir werden es dreißigtausend sein. Was würdest du tun, wenn jemand dich zwingen würde, für dreißigtausend Dollar im Jahr zu arbeiten?«
    »Mich umbringen.«
    »Das glaube ich. Ich glaube wirklich, du würdest dir eher eine Kugel durch den Kopf jagen, als für dreißigtausend Dollar zu arbeiten.«
    »Nein, stimmt nicht. Ich würde Tabletten nehmen.«
    »Feigling.«
    »Ich könnte auf keinen Fall für so wenig Geld arbeiten.«
    »Oh doch, du könntest für so wenig Geld arbeiten. Aber du könntest nicht mit so wenig Geld auskommen.«
    »Das ist dasselbe.«
    »Und das ist der Punkt, in dem wir verschieden sind«, sagte ich.
    »Da hast du verdammt recht. Aber wie sind wir so verschieden geworden, Michael?
    Vor einem Monat warst du noch wie ich und jetzt sieh dich an: dieser alberne Bart und die zerknitterte Hose und dieser ganze Blödsinn von >den Menschen dienen< und >der Menschheit helfen<. Wo bist du vom Weg abgekommen?«
    Ich musste tief Luft holen, ehe ich den Witz in seiner Frage würdigen konnte.
    Auch er entspannte sich. Wir waren zu wohlerzogen, um uns in der Öffentlichkeit zu streiten.
    »Weißt du was?« sagte er und beugte sich zu mir. »Du bist ein Idiot. Du warst kurz davor, Teilhaber zu werden. Du bist intelligent und talentiert, alleinstehend, ohne Kinder. Mit fünfunddreißig hättest du eine Million im Jahr verdienen können. Du kannst es dir selbst ausrechnen.«
    »Das habe ich schon, Warner. Ich habe

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