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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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wollte, ob ich auf eine vierte Geschichte stoßen würde, doch ich hatte kein Glück. Statt dessen fand ich einen Artikel über die Säuberungsaktionen der Polizei als Reaktion auf den Burkholder-Anschlag. Ein Anwalt der Obdachlosen kritisierte die Aktion heftig und drohte mit einer Klage. Ruby gefiel der Artikel. Sie fand es wunderbar, dass so viel über Obdachlose geschrieben wurde.
    Ich fuhr sie zu Naomi, wo man sie wie eine alte Freundin begrüßte. Die Frauen umarmten sie und reichten sie von einer zur anderen weiter, sie drückten sie an sich, und einige weinten sogar. Ich verbrachte ein paar Minuten in der Küche und flirtete mit Megan, doch im Grunde stand mir der Sinn nicht danach, mich zu verlieben.
    Als ich ins Büro zurückkehrte, hatte Sofia alle Hände voll zu tun. Es herrschte ein reges Kommen und Gehen; bereits um neun Uhr saßen fünf Mandanten im Wartebereich. Sofia telefonierte und terrorisierte jemanden auf Spanisch. Ich ging in Mordecais Büro, um ihn zu fragen, ob er schon die Zeitung gelesen habe.
    Er war bereits in sie vertieft und lächelte mich an. Wir verabredeten, in einer Stunde eine Besprechung über unser weiteres Vorgehen abzuhalten.
    Ich schloss leise die Tür zu meinem Zimmer und nahm mir die Akten vor. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich einundneunzig Fälle übernommen und nur achtunddreißig abgeschlossen. Ich war in Verzug und brauchte einen produktiven Vormittag am Telefon, um den Rückstand aufzuholen. Aber es sollte nicht sein.
    Da die Tür nicht richtig schloss, stieß Sofia sie schon mit ihrem Klopfen auf.
    Kein »Hallo«, kein »Entschuldigung«.
    »Wo ist die Liste der Leute aus dem Lagerhaus?« fragte sie. Sie hatte hinter jedes Ohr einen Bleistift gesteckt, und ihre Lesebrille war auf die Nasenspitze gerutscht. Diese Frau war ungeheuer beschäftigt.
    Ich hatte die Liste immer zur Hand und reichte sie ihr. Sie warf einen kurzen Blick darauf. »Treffer«, sagte sie dann.
    »Was?« Ich stand auf.
    »Nummer acht, Marquis Deese«, sagte sie. »Der Name kam mir gleich so bekannt vor.«
    »Bekannt?«
    »Ja, der Mann sitzt an meinem Tisch. Wurde gestern Abend im Lafayette Park gegenüber dem Weißen Haus eingesammelt und am Logan Circle ausgesetzt - bei einer von diesen Säuberungsaktionen. Anscheinend ist heute Ihr Glückstag.«
    Ich folgte ihr in den Eingangsraum, in dessen Mitte Mr. Deese vor Sofias Schreibtisch saß. Er hatte bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Devon Hardy: Ende vierzig, graues Haar, grauer Bart, dunkle Sonnenbrille, viele Kleiderschichten übereinander, wie die meisten Obdachlosen Anfang März. Ich musterte ihn kurz, während ich zu Mordecai ging, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen.
    Wir näherten uns ihm vorsichtig. Mordecai sollte ihn befragen. »Entschuldigen Sie«, sagte er sehr höflich, »ich bin Mordecai Green, einer der Anwälte hier.
    Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

    Wir standen neben ihm und sahen ihn an. Deese hob den Kopf und sagte: »Von mir aus.«
    »Wir arbeiten an einem Fall, in dem es um ein paar Leute geht, die in einem alten Lagerhaus an der Ecke Florida und New York Avenue gewohnt haben«, erklärte Mordecai langsam.
    »Da hab ich auch gewohnt«, sagte Deese. Ich holte tief Luft.
    »Sie haben dort gewohnt?«
    »Klar. Bin rausgeschmissen worden.«
    »Ja, und genau darum geht es. Wir vertreten einige der Leute, die aus diesem Haus vertrieben wurden. Wir sind der Ansicht, dass die Zwangsräumung nicht rechtens war.«
    »Das seh ich auch so.«
    »Wie lange haben Sie dort gewohnt?«
    »So ungefähr drei Monate.«
    »Haben Sie Miete bezahlt?«
    »Klar.«
    »An wen?«
    »An einen Typen namens Johnny.«
    »Wie viel?«
    »Hundert Dollar im Monat, bar.«
    »Warum bar?«
    »Er wollte nichts Schriftliches.«
    »Wissen Sie, wem das Lagerhaus gehörte?«
    »Nein.« Er antwortete ohne Zögern, und ich konnte meine Freude kaum verbergen.
    Wenn Deese nicht wusste, dass das Gebäude Gantry gehört hatte, konnte er auch keine Angst vor ihm haben.
    Mordecai zog einen Stuhl heran und machte Nägel mit Köpfen. »Wir möchten Sie gern als Mandanten haben, Mr. Deese.«
    »Wozu?«
    »Wir klagen gegen die Zwangsräumung. Nach unserer Ansicht wurde Ihnen und den anderen Unrecht getan. Wir möchten Sie vertreten und in Ihrem Namen auf Schadenersatz klagen.«
    »Aber die Wohnung war illegal. Darum hab ich ja bar bezahlt.«
    »Das spielt keine Rolle. Wir können Ihnen zu Geld verhelfen.«
    »Wie viel?«
    »Das wissen wir noch nicht. Aber was haben Sie zu

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