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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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vollkommen Uninteressierten, packte mich das Grauen. Und vor der Arbeit graute es mir am meisten. Kartellfälle waren lang und schwierig, und die Akten waren so dick, dass sie in Kartons aufbewahrt werden mussten. Und wozu das Ganze?
    Eine milliardenschwere Gesellschaft kämpfte gegen eine andere, und hundert Rechtsanwälte waren damit beschäftigt, bedrucktes Papier zu produzieren.
    Ich gestand mir ein, dass ich meine Arbeit noch nie geliebt hatte. Sie war ein Mittel zum Zweck. Wenn ich mich hineinkniete und zu einem Experten wurde, würde ich eines Tages ein gefragter Anwalt sein. Mein Spezialgebiet hätte ebensogut Steuerrecht, Arbeitsrecht oder Prozessführung sein können. Wer konnte sich schon für Kartellrecht begeistern?
    Unter Aufbietung aller Willenskraft schaffte ich es, aufzustehen und unter die Dusche zu gehen.
    Mein Frühstück bestand aus einem Croissant von einer Bäckerei in der M Street und einer Tasse starkem Kaffee. Ich aß und trank mit einer Hand am Steuer und fragte mich, was Ontario wohl zum Frühstück bekam, ermahnte mich aber, mich nicht selbst zu quälen. Ich hatte das Recht zu essen, ohne mich schuldig zu fühlen, doch zugleich verlor Essen für mich immer mehr an Bedeutung.
    Im Radio hieß es, die Tagestemperaturen würden voraussichtlich zwischen minus sieben und minus siebzehn Grad liegen; mit Schnee sei erst in einer Woche wieder zu rechnen.
    Erst in der Lobby wurde ich von einem meiner Brüder im Geiste angesprochen.
    Bruce Soundso von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit trat mit mir in den Aufzug und sagte ernst: »Wie geht’s Ihnen, mein Freund?«
    »Prima. Und Ihnen?« gab ich zurück.
    »Okay. Wir hängen uns für Sie rein. Bleiben Sie am Ball.«
    Ich nickte, als wäre seine Unterstützung von entscheidender Bedeutung. Zum Glück stieg er in der ersten Etage aus, allerdings nicht ohne mir auf die Schulter zu klopfen wie ein Basketballspieler im Umkleideraum. Mach sie fertig, Bruce.
    Ich war angeschlagen. Meine Schritte wurden langsamer, als ich an Madame Deviers Tisch und dem Konferenzraum vorbeiging. Ich bog in einen mit Marmor ausgekleideten Gang ein; in meinem Büro angekommen, ließ ich mich erschöpft in den lederbezogenen Drehsessel fallen.
    Polly hatte mehrere Methoden, meine Telefonnotizen anzuordnen. Wenn ich die Anrufe gewissenhaft beantwortete und sie mit meinen Bemühungen zufrieden war, fand ich nur ein oder zwei Notizen neben meinem Telefon. Wenn ich jedoch nachlässig war und sie daher Grund zu Beanstandungen hatte, bereitete es ihr Freude, die Zettel in chronologischer Reihenfolge und mitten auf meinem Schreibtisch zu einem Meer von Rosa auszulegen.
    Ich zählte neununddreißig Zettel, einige davon mit dem Vermerk »Dringend«, einige mit Nachrichten von oben. Nach der von Polly gelegten Spur schien insbesondere Rudolph irritiert. Ich las die Notizen langsam, sammelte sie ein und legte sie beiseite. Erst wollte ich meinen Kaffee austrinken, in Ruhe und ohne Druck, und so saß ich an meinem Schreibtisch, die Tasse in beiden Händen, starrte ins Leere und hatte vermutlich große Ähnlichkeit mit einem Mann am Rand des Abgrunds, als Rudolph hereinkam.

    Die Späher mussten ihm Bescheid gesagt haben: irgendein Gehilfe, der nach mir Ausschau halten sollte, oder vielleicht auch Bruce aus dem Aufzug. Vielleicht war die ganze Kanzlei in Alarmbereitschaft versetzt worden. Nein - die Leute waren zu beschäftigt.
    »Hallo, Mike«, sagte er knapp, setzte sich, schlug die Beine übereinander und war bereit für ein ernstes Gespräch.
    »Hallo, Rudy«, sagte ich. Ich hatte ihn noch nie Rudy genannt, immer nur Rudolph. Seine derzeitige Frau und die Teilhaber nannten ihn Rudy, sonst niemand.
    »Wo haben Sie gesteckt?« fragte er ohne die leiseste Andeutung von Mitgefühl.
    »In Memphis.«
    »In Memphis?«
    »Ja. Ich musste meine Eltern mal wieder sehen. Außerdem ist dort unser Psychiater.«
    »Psychiater?«
    »Ja. Er hat mich für ein paar Tage unter Beobachtung gehabt.«
    »Unter Beobachtung?«
    »Ja, in einer dieser hübschen kleinen Kliniken mit Orientteppichen in den Zimmern und Räucherlachs zum Frühstück. Tausend Dollar pro Tag.«
    »Zwei Tage? Sie waren zwei Tage dort?«
    »Ja.« Das Lügen fiel mir leicht - ich hatte kein schlechtes Gewissen. Wenn sie es für angebracht hielt, konnte die Kanzlei hart, ja rücksichtslos sein, und ich hatte nicht vor, mich von Rudolph zusammenstauchen zu lassen. Er hatte einen Marschbefehl vom Vorstand und würde wenige Minuten,

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