Der Verrat
freue mich, Euch wiederzusehen.«
Doch im Stillen befürchtete sie, dass die Bekanntschaft mit der Fürstin rasch zu einer Last für sie werden könnte, falls ihre neue Freundin mehr Aufmerksamkeit verlangte, als Reiko zu geben bereit war. Der eigentümliche Schimmer in Fürstin Yanagisawas schmalen Augen vermittelte Reiko ein Gefühl des Unwohlseins.
»Bitte glaubt mir, dass ich Euch nicht belästigt hätte, wenn es nicht sehr wichtig gewesen wäre.« Fürstin Yanagisawa verstummte und fingerte an den verknoteten Schnüren des Bündels herum. Dann stieß sie hervor: »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben … habe ich gesagt, dass ich alles tun würde, um die Ermittlungen Eures Gemahls zu unterstützen. Darum bin ich heute gekommen.«
Kikuko summte eine misstönende Melodie und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen.
Reiko schaute Fürstin Yanagisawa verwundert an. »Ihr habt Informationen, die bei den Mordermittlungen helfen könnten?«, erkundigte sie sich und beäugte das Bündel, das die Besucherin in der Hand hielt, wobei sie zwischen Skepsis und Hoffnung schwankte.
Fürstin Yanagisawa zog die Stirn in Falten. »Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass meine Entdeckung Eurem Gemahl helfen würde, aber ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall. Darf ich es erklären?«
Reiko nickte, und Fürstin Yanagisawa fuhr fort: »Dies hier ist gestern für meinen Gemahl abgegeben worden.«
Sie packte das Bündel aus. Ein flaches, rechteckiges Paket, das in grobes braunes Papier eingewickelt und mit einem Band zusammengeschnürt war, kam zum Vorschein. Reiko konnte die Worte lesen: »Für Kammerherrn Yanagisawa. Persönlich und vertraulich«, stand dort in schwarzen Schriftzeichen.
»Mein Gemahl war nicht zu Hause«, sagte Fürstin Yanagisawa. »Ich habe seine Schreiber belauscht und aufgeschnappt, dass sie nicht wussten, wer das Paket geschickt hat und ob sie es aufmachen sollten. Schließlich haben sie beschlossen, es nicht zu öffnen, und legten es aufs Schreibpult meines Gemahls. Meine Neugier war geweckt. Ich ging in die Schreibstube, schob das Paket unter meinen Kimono und nahm es mit in mein Gemach.«
Reiko war fassungslos, dass jemand es wagte, den Kammerherrn zu bestehlen, selbst wenn es die eigene Gemahlin war.
Fürstin Yanagisawa seufzte tief. »Wenn mein Gemahl erfährt, was ich getan habe, wird er schrecklich wütend auf mich sein. Doch als ich das Paket öffnete … nun, da wusste ich, dass ich sein Missfallen in Kauf nehmen musste.«
Ihr sehnsüchtiger Blick glitt über Reiko. »Ihr seid so liebenswürdig zu mir gewesen, dass ich Euch nun belohnen möchte. Dieses Paket … es enthält eine große Bedrohung für Euren Gemahl. Ich bringe es Euch, damit er die Gefahr erkennen und sich selbst und Euch schützen kann.«
»Welche Gefahr?«, fragte Reiko verwirrt.
Kikuko stieß einen lauten, schrillen Ton aus und schaukelte mit verzerrtem Gesicht vor und zurück. Fürstin Yanagisawa legte eine Hand auf die Schulter ihrer geistesschwachen Tochter, um sie zu beruhigen. »Vielleicht solltet Ihr Euch das besser selbst ansehen. Bitte nehmt es mit meinen besten Wünschen für Euer Glück entgegen und erlaubt mir, mich zu verabschieden, bis wir uns wiedersehen.«
Sie reichte Reiko das Paket und verneigte sich.
»Ich danke Euch«, sagte Reiko und nahm das Geschenk entgegen.
Nachdem die Besucher fort waren, ging sie mit dem Paket in ihr Gemach und schloss die Tür hinter sich. Von Neugier und Angst erfüllt, zog sie die Schnur auf und wickelte das Paket aus. Es enthielt eine Art Buch, in zwei Deckblätter aus Pappe eingeschlagen, die mit lavendelfarbener Seide bespannt und mit einem grünen Band verschnürt waren. Ein Schauer der Erregung durchfuhr Reiko, als sie auf das Buch starrte, das ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie schlug es auf.
Auf der ersten der ungefähr zwanzig dünnen, weißen Seiten Reispapier stand die Aufschrift:
Das Tagebuch der Kurtisane Wisterie.
Fürst Niu besaß ausgedehnte, befestigte Anwesen im Ost- und Südteil des Palasts zu Edo. Die daimyō , die Provinzfürsten, residierten hier in den vier Monaten, die sie jedes Jahr in der Hauptstadt verbrachten. Das Tokugawa-Gesetz verlangte von den Fürsten, ihre Familien als Geiseln zurückzulassen, wenn sie in ihre Provinzen reisten, um Aufständen gegen das herrschende Regime vorzubeugen.
Midori wurde in einer Sänfte eine breite Straße hinuntergetragen, die von berittenen Samurai bevölkert war. Reihen von Häusern, deren
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